Süddeutsche Zeitung

TV-Duell:"Wenn es langweilig wird, hat Merkel gewonnen"

Vorpreschen oder Phrasen dreschen, charmant sein oder aggressiv? Am Sonntagabend treten Angela Merkel und Peer Steinbrück zum großen Rededuell im Fernsehen an. Experten empfehlen dem Herausforderer eine völlig andere Strategie als Angela Merkel.

Von Kathleen Hildebrand

Sie kennen das ja. Fernsehkameras, die vertrauten Gesichter von Anne Will, Maybrit Illner, Peter Kloeppel und inzwischen auch von Stefan Raab. Ein Stehpult. Und eine Wand, die natürlich - wie immer - blau sein wird. Eigentlich kein Grund für Angela Merkel und Peer Steinbrück, aufgeregt zu sein.

Doch das TV-Duell ist anders. Die Zweiersituation, die direkte Vergleichbarkeit, die zeitliche Nähe zur Wahl. "Es geht um mehr", sagt Peter Ditko. "Man kann danach messen, wie groß der Erfolg gewesen ist, wer um wieviel Prozent hat überzeugen können. Das ist viel Stress." Peter Ditko ist Leiter der Deutschen Rednerschule in Bonn, seit 1978 berät er Politiker vor wichtigen Redeauftritten.

Vorprogrammierte Kandidaten

Er weiß, dass vor einem Fernsehduell die Wahlkampfberater jede Eventualität mit ihren Schützlingen akribisch durchspielen. "Im Fernsehduell können die letzten Unentschlossenen noch überzeugt werden und das überlässt man natürlich nicht dem Zufall. Die Kandidaten werden vorprogrammiert auf die Dinge, die wahrscheinlich angesprochen werden - und auch die Antworten sind schon vorgefertigt."

Aber was raten die Berater? Wir haben Rhetorik-Experten gefragt, was die Duellanten beachten sollten, um siegreich aus der Begegnung herauszugehen. Anne Mattes ist Vizepräsidentin des Verbands der Debattierclubs an Hochschulen (VDCH). Bei aller Vorprogrammierung der Kandidaten empfiehlt sie etwas, das jenseits von auswendig gelernten Antworten liegt, nämlich Atmosphäre:

"Ich finde den Zuschauerbezug wichtig. Der Redner muss Kontakt schaffen - nicht nur zum Publikum im Saal, sondern zu den Leuten, die zu Hause sitzen. Er muss versuchen, da eine Atmosphäre aufzubauen." Wie das geht? "Indem man in der Sprache der Zuschauer redet", sagt Mattes. "Also nicht zu bürokratisch - raus aus den vielen Details."

Das findet auch Boris Kositzke, Rhetorik-Dozent am Leibniz-Kolleg der Universität Tübingen und freier rhetorischer Berater. "Für differenzierte Argumente ist das Format nicht geschaffen", sagt er. "Beide haben nur eine bestimmte Sekundenzahl für ihre Antwort - da müssen sie zwar konkret werden, aber es geht um Bilder, nicht um Logik. Das erreicht die Leute sonst nicht."

Stimmungsmache klinge zwar negativ, sagt Kositzke, aber genau darum gehe es beim TV-Duell. "Die Wähler, die sich von sachlichen Argumenten überzeugen lassen, haben bereits ihre Meinung. Bei dem Duell geht es nur noch um die rhetorische Kategorie des 'Pathos' - um Gefühle, um Stimmung. Und um das 'Ethos', um die persönliche Überzeugungskraft der Kontrahenten: Wer macht den souveräneren Eindruck, wer kann besser Kanzler?"

Was das betrifft, starten Merkel und Steinbrück mit höchst unterschiedlichen Voraussetzungen. Die Umfragewerte sehen Merkel weit vorne, Peer Steinbrück hingegen weit abgeschlagen. Deshalb empfiehlt Boris Kositzke ihnen auch sehr unterschiedliche Strategien: "Frau Merkel würde ich raten zu tun, was sie immer tut - vage Wohlfühl-Rhetorik. Merkel kann das Duell wie jeden beliebigen anderen Auftritt absolvieren. Sie sollte mit zurückgenommener Gestik und Mimik den 'unbewegten Beweger' geben und darf, ja muss auf ihren politische Worthülsen bestehen. Das erwartet man, sie vertritt den Status Quo - den muss sie verteidigen und sagen: 'Alles ist gut`."

"Er hat nichts zu verlieren"

Seine Empfehlung an Steinbrück ist ebenso klar: "Wenn man in den Umfragen zurückliegt, muss man mutig sein. Das kann auch in einer Katastrophe enden, aber er hat ja nichts zu verlieren. Die Katastrophe ist eigentlich schon da. Er muss tief in die rhetorische Trickkiste greifen und richtig auspacken und kämpfen. Wenn er in Merkels ruhiges Fahrwasser gerät, dann hat sie gewonnen. Steinbrück muss sich der Wichtigkeit der Sache angemessen empören, aggressiv und polemisch sein", sagt Kositzke.

Dafür solle sich Steinbrück auf das zurückbesinnen, was ihn einmal beliebt gemacht hat: "Er muss den 'Klartext' sprechen, den er so oft für sich reklamiert. Und er muss jede Floskel, jede politische Phrase von Merkel auseinandernehmen: Was heißt denn, dass alles gut sei? Was bedeutet gut? Wem geht es denn gut und wem nicht? Er muss ihre staatsmännische Blässe stören und Farbe in die Diskussion bringen."

Langeweile erhält den Status Quo

Die strengen Regeln des Fernsehduells könne er da ruhig auch mal hintanstellen. Im Empörungsmodus wirke das angemessen, findet Kositzke: "Da kann man sich nicht an Redezeiten und Themenvorgaben halten. Da muss man eben einfach nochmal was sagen, da muss man dazwischengehen - und auch vielleicht andere Fragen stellen und beantworten als die, die der Moderator gerade gestellt hat."

Das habe Steinmeier im letzten Kanzlerduell falsch gemacht, als er nicht aus seiner Rolle als Vizekanzler herausfand, sagt Boris Kositzke. "Das war viel zu zurückhaltend und versöhnlich. Und wenn es langweilig wird, hat Merkel gewonnen. Wenn es engagiert wird, wenn es zur lebhaften Auseinandersetzung kommt, dann gewinnt Steinbrück - zumindest das Duell. Langeweile erhält den Status Quo, Aufruhr und Spannung stehen für Wechsel."

Und die Körpersprache? Hochschul-Debattiererin Anne Mattes wünscht sich Merkel und Steinbrück weniger starr als die Kontrahenten in vergangenen Duellen. "Die sind ja keine Tagesthemen-Moderatoren", sagt sie, und: "Was unterschätzt wird, ist, wie derjenige schaut, der gerade nicht redet. Wenn da Unaufmerksamkeit sichtbar wird, dann empfinden das die Zuschauer als sehr unangenehm. Man muss immer dabei bleiben - indem man nicht in sich zusammensackt, sich aufrecht demjenigen zuwendet, der redet, und Reaktionen erkennbar macht. Man muss sehen können: Was passiert hinter der Politikerfassade?"

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