TV-Dokumentation "Kathedralen der Kultur":Näher beim Tiger

Porträt - Wim Wenders

Regisseur Wim Wenders dreht die Fernsehdokumentation "Kathedralen der Kultur".

(Foto: dpa)

Wim Wenders holt mit der Dokumentation "Kathedralen der Kultur" 3-D ins Fernsehen. In Berlin verlangt er nun gemeinsam mit Ang Lee, was die neue Technik in Wahrheit braucht: revolutionäre Drehbücher.

Von Anke Sterneborg

Wurfgeschosse und Stichwaffen wurden in den Sechzigerjahren auf einmal als Kino-Accessoires ungeheuer populär - sie flogen mit der damals neuen 3-D-Technik so schön auf die Zuschauer zu. Und der Einsatz der dritten Dimension wurde lange nicht viel inspirierter. Die Technik galt zunächst vor allem als Wunderwaffe im Kampf gegen sinkende Zuschauerzahlen, als Köder, mit dem sich die Zuschauer aus ihren immer höher gerüsteten Heimkinos herauslocken lassen.

Erst jetzt beginnen ein paar Filmregisseure, sich wirklich mit der Frage zu befassen, was das neue, dreidimensionalen Sehen für das Erzählen im Kino bedeuten kann. Dazu gehören neben James Cameron (Avatar), der für den virtuosen Einsatz der Technik bekannt ist, und Martin Scorsese (Hugo Cabret) auch Wim Wenders und Ang Lee. Sie trafen sich vor einigen Tagen in der Berliner Akademie der Künste zu einem Podiumsgespräch über die Möglichkeiten von 3-D. Beide Regisseure sehen die Technik nicht als Vehikel für die Phantasiewelten des Animationskinos, sondern als Möglichkeit für intime Perspektiven auf den Alltag. Die Verfilmung von Yann Martels Schiffbruchgeschichte The Life of Pi, die von den Abenteuern eines Teenagers erzählt, der wochenlang zusammen mit einem Tiger in einem kleinen Rettungsboot verbringt, wäre für Ang Lee ohne die Unmittelbarkeit des 3-D völlig undenkbar gewesen, wie er erklärte.

Gebäude als Hauptdarsteller

Auch für Wenders wurde der Traum eines Filmes über die Arbeit der Tänzerin und Choreografin Pina Bausch erst mit 3-D-Technik realisierbar, wobei der Tanz durch seine Beziehung zum Raum von vorn herein eine besondere Affinität zur Dreidimensionalität hat.

Das gilt auch für die Architektur, die Wenders jetzt in einem neuen 3-D-Projekt thematisiert: In einer sechsteilig konzipierten Fernsehserie über Kathedralen der Kultur, die als Koproduktion mit dem RBB und Arte fürs Fernsehen produziert wird und Ende nächsten Jahres in 2-D und 3-D ausgestrahlt werden soll. Das Konzept: Sechs verschiedene Filmautoren porträtieren jeweils ein außergewöhnliches Gebäude. Wenders hat im November bereits in der Berliner Philharmonie gedreht, weitere Projekte folgen im kommenden Jahr. Dabei sollen die Gebäude sozusagen als Hauptdarsteller für sich selbst sprechen, als Ort im kollektiven Gedächtnis, in einem imaginären Dialog mit ihrem Architekten und ihren Nutzern.

Ein neuartiger Realismus

Derzeit ist das 3-D-Fernsehen jedoch noch ein Minderheitenprogramm, zu rar sind die Sendeplätze (beim Bezahlsender Sky werden immerhin ausgewählte Sportereignisse wie Fußball-Bundesligaspiele oder das Wimbledon-Finale in 3-D ausgestrahlt, Arte bietet sogenannte 3-D-Thementage), zu unausgereift ist die Technik mit teuren 3-D-Brillen und meist nur auf einen Zuschauer exakt zugeschnittenem 3-D-Empfang. Selbst das Seherlebnis des sündhaft teuren Toshiba-Fernsehers, der im Sommer vorgestellt wurde und erstmals brillenlose 3-D-Sicht ermöglicht, ist qualitativ kaum mit dem Kinoerlebnis zu vergleichen. Unterm Strich fehlen aber nicht nur Übertragungs- und Empfangsstandards, sondern auch Sendungen.

Derzeit geht es um nichts weniger als eine neue Definition des filmischen Raums: "Es gibt noch keine allgemeingültige Ansicht, was dieses 3-D wirklich ist", sagte Wim Wenders. "Für viele ist es eine Attraktion, für die Studios ist es eine Möglichkeit, Geld zu verdienen, aber als Medium ist es noch nicht wirklich akzeptiert, das Verhältnis zwischen Film und Zuschauer noch nicht etabliert." In der Geschichte der Menschheit, seit den Höhlenmalereien, habe es immer eine Übereinkunft über das Verhältnis der Dinge zu ihrer Repräsentation im Bild gegeben. Durch 3-D werde diese Beziehung völlig verändert, stellt Wenders fest: "Der Tiger in Ang Lees Film ist sehr viel näher an der Wirklichkeit, als wir es von den Bildern kennen. Die Art wie diese Barriere durchstoßen wird, ist die wahre Revolution!"

Paradoxerweise erweist sich der neuartige Realismus nach Ansicht von Ang Lee aber auch als sehr viel trügerischer und schwerer fassbar - ganz einfach weil die Leinwand keine klar definierte Fläche darstellt, sondern sich in alle Richtungen grenzenlos ausdehnt. So müssen die Pioniere des dreidimensionalen Erzählens die Filmsprache ganz neu lernen, den Umgang mit verschiedenen Linsen, Brennweiten und Bildformaten, ja sogar mit den Schauspielern: "Da 3-D in jeder Beziehung sehr viel voluminöser wirkt, muss man die Performance der Schauspieler entsprechend anpassen", stellte Ang Lee fest, "das sieht sehr viel schneller nach Overacting aus.'"

Wenders fordert: "Wir müssen anfangen, Drehbücher für 3-D zu schreiben." Er hat sich in die Technik verliebt: Derzeit bereitet er seinen ersten Spielfilm in 3-D vor, eine kleine intime Familiengeschichte, die er wahrscheinlich mit dem Kameramann Anthony Dod Mantle drehen wird, der gerade in der Comic-Verfilmung Dredd neue 3-D-Perspektiven eröffnet hat.

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