TV-Dokumentation:Boris Becker und der Mythos des Gewinnertypen

Boris Becker - Der Spieler

Hübsche Urlaubsbilder und exklusive Interviews täuschen nicht darüber hinweg, dass die Beschreibung des Boris B. hier seltsam unscharf bleibt.

(Foto: SWR)

Die ARD widmet der Tennislegende zum 50. Geburtstag eine Dokumentation. Schwierig. Wer versucht, Becker zu erfassen, schwankt quasi zwangsläufig zwischen schaler Heldenverehrung und überzogener Häme.

Von Thomas Hahn

Das Alter kennt keine Gnade, und den deutschen Sporthelden Boris Becker hat es erst recht nicht verschont. Was war er für ein stattlicher junger Mann: rotblond, kraftvoll, katzengleich, wenn er über den Tennisplatz hechtete. Heute ist sein Fuß kaputt. Sein kantiges Gesicht ist rund geworden. Seine Augen, mit denen er einst seine Gegner fixierte, liegen über dicken Tränensäcken. Wie er wohl damit umgeht, seine alte Form, sein altes Profil verloren zu haben? Wie er diese unvermeidliche Verwandlung betrachtet, die das Älterwerden mit sich bringt und die ihn für immer entfernt von seinem überragenden Talent als Tennisspieler? Erträgt er das Alter nur? Kann er daraus sogar eine neue Kraft schöpfen?

Das wären naheliegende Fragen für Boris Becker, der die Nation mit seinen Siegen einst in Begeisterung versetzte. Und wenn er darauf ein paar kluge Antworten hätte, könnte er vielleicht sogar wieder das Vorbild werden, das er mal war.

Boris Becker wird am 22. November 50, das ist ein guter Anlass, mal wieder etwas tiefere Blicke auf diesen besonderen deutschen Sportmenschen zu werfen. Also tut die ARD das an diesem Montag mit der 90-minütigen Dokumentation Boris Becker - der Spieler, für welche die Autoren Hanns-Bruno Kammertöns und Michael Wech Becker monatelang begleitet haben. Bevor die gescheiterten Koalitionsverhandlungen bei der ARD zu einer Programmänderung führten, war dieser Film zur Primetime geplant, und das war nicht nur angemessen, weil der Name Becker gute Quoten verheißt. Sondern weil Becker ein Deutscher der Zeitgeschichte ist, der wie wenige für die Sehnsüchte und Brüche der Konsumgesellschaft steht.

Man bewegt sich bei ihm stets auf dem schmalen Grat zwischen Heldenverehrung und Häme

Der Sport wird leicht abgetan als seichtes Entertainment. Oft zu Recht, manchmal aber auch aus der Ahnungslosigkeit stolzer Bildungseliten heraus, die im körperlichen Kräftemessen keinen inhaltlichen Aspekt erkennen. Beckers Karriere ist der Beweis dafür, dass die Tätigkeit, einen Filzball über ein Netz zu schlagen, eine Bedeutung haben kann, die weit über das Tennisfeld hinaus reicht. Als Becker 1985 im Alter von 17 Jahren zum ersten Mal Wimbledon gewann, war das wie ein Erweckungserlebnis für seine Landsleute vor den Fernsehgeräten. Ein etwas ungeschlachter, groß gewachsener Bub aus Leimen verschaffte seinem Land an einer bis dahin uneinnehmbaren Traditionsstätte einen weltweit beachteten Erfolg.

Im unkonventionellen Serve-and-Volley-Spiel dieses Jünglings lag etwas, das die Deutschen nicht kannten: Die vielbeschworene deutsche Kampfkraft funktionierte plötzlich auch in der vornehmsten Zentrale des weißen Sports. Deutschland war schon vorher wieder wer gewesen, aber mit Becker bekam es einen Publikumsliebling, der das Bild vom drögen Deutschen im Ausland neu ausrichtete. Die Fußball-Nation entdeckte die Freude am Heldenkult - und auch am damals elitären Rückschlagespiel. Die Ausläufer des sogenannten Tennis-Booms sind bis heute zu spüren.

Eine Hommage, die Boris Becker verdient

Becker war nie nur ein erfolgreicher Tennisspieler, der sechs Grand-Slam-Turniere gewann und zeitweise die Weltrangliste anführte. Er war ein Sportgenie, das zwischen epischem Sieg und unerklärlicher Niederlage schwankte, tatsächlich ein großer, leidenschaftlicher Sportler, der niemanden kalt ließ. Die Dokumentation stellt das ausführlich dar. Die Autoren halten sich dabei nicht lange mit seinen schwachen Augenblicken auf. Der Film ist als Hommage angelegt, und man muss sagen: Diese Hommage hat sich der Tennisspieler Boris Becker auch verdient.

An anderer Stelle allerdings spielt die Hommage ins Erwartbare und Oberflächliche. Das Leben Beckers nach dem Tennis ist nämlich auch noch da. Es weist Affären und misslungene Geschäftsversuche auf. Eine überzeugende Antwort auf die Frage, wie er damit umgeht, dass er nicht ein Leben lang der schöne, geliebte Tennis-Boris sein kann, hat er dabei nie wirklich geben können - und die kriegen auch Kammertöns und Wech nicht aus ihm heraus.

Ein Porträt von Becker ist keine einfache Aufgabe. Er ist ein verdienter Mann mit Schwächen, ein früherer Traumfabrikant, der zu spät verstand, dass er in seinem Leben nichts außer Tennis gelernt hat. Wer sein Leben beschreiben will, wandelt auf einem schmalen Grat zwischen schaler Heldenverehrung und überzogener Häme. Gerade in diesem Sommer war Becker wieder in den Schlagzeilen, weil ein früherer Geschäftspartner und eine Privatbank hohe Geldforderungen an ihn stellten. In England läuft gerade ein Insolvenzverfahren gegen ihn. Der Eindruck vom Becker, der seine Karriere nach der Tennis-Karriere nicht im Griff hat, ist wieder lebendig. Und der Film bemüht sich sehr, diese Probleme sachlich einzubetten in den Mythos des Gewinnertypen Becker.

So richtig gelingt das nicht, weil eine Hommage am Ende eben nie den Mut aufbringt, dem quälenden Widerspruch genügend Raum zu geben. Es gilt die Version des Helden. Der Film zeichnet das alte Bild von Becker als Opfer einer vereinnahmenden Mediengesellschaft, der aber immer noch bedeutend genug ist, um mit Albert von Monaco Smalltalk zu halten. Becker tritt auf als der ehrenwerte Kämpfertyp, der den Preis seiner Prominenz zahlt. "Ich würde lieber für den Rest meines Lebens nie wieder in der Bild-Zeitung stehen, glauben Sie mir", sagt er, "ich habe nur die Wahl nicht. Weil man mit dem Geschäftsmodell Boris Becker Zeitungen verkauft."

Die Dokumentation bietet ein paar lohnende Einblicke und Gedanken. Sie lässt die Erinnerung aufleben an einen außergewöhnlichen Sportler, sie leuchtet auch zaghaft hinein in die Welt der Beckerschen Fehltritte. Aber letztlich bleibt sie unscharf. Sie hält sich mit irgendwelchen Urlaubseinstellungen und Interview-Passagen auf, die zwar exklusiv sein mögen, aber im Grunde inhaltsleer sind. Sie sagt nicht viel Neues über Becker. Sie überlässt ihn einer Nachdenklichkeit, die einem seltsam bekannt vorkommt. "Ich bin nicht euer Boris", sagt Becker. Hat das nicht schon nach seinem ersten Wimbledon-Sieg gestimmt? Gibt es nicht mehr zu sagen über diese humpelnde Lichtgestalt? Für die Geschichte, die Boris Becker mit all seinen Stärken und Schwächen ernst nimmt, ist dieser nette ARD-Film zu klein.

Boris Becker - der Spieler, Das Erste, 22.15 Uhr.

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