Süddeutsche Zeitung

TV-Doku über Genesis:Hommage an die Band für Weicheier

Die Musik von Genesis ertrug früher nicht einmal die Band selbst. Eine TV-Doku bringt jetzt alle Mitglieder wieder zusammen - Misstöne werden britisch diskret unterdrückt.

Von Bernd Graff

Wenn man zu Beginn der Siebzigerjahre sagte: "Ich bin Genesis-Fan", dann war klar, so etwas sagt man besser nicht. Jedenfalls nicht laut, wenn man weiterhin zu den coolen Hunden seines Jahrgangs gehören wollte. Cool war damals der Rock 'n' Roll der Stones, die Klasse der Beatles, die Wand aus Sound von Pink Floyd. Und T. Rex, Deep Purple, Status Quo zum Mitsingen. Aber Genesis?

Das war die Band für Weicheier. Eine nervös schrummelnde Band war das, verschroben lustig, wohl irgendwie abgründig tief, aber nicht vermittelbar. Ihre Stücke waren oft nicht unter 20 Minuten zu haben, erzählten Fabeln aus einem animistischen Wunderland, das nur unter Englands Regen gedeihen kann, und behaupteten eine Bedeutung, die man hineingeheimnissen musste. Drin war sie nicht. Wer Genesis hörte, hatte also Probleme, doch nicht so interessante, wie sie die coolen Hunde hatten.

Es war ja auch verschroben: Die Gründungsmitglieder von Genesis, Peter Gabriel und Tony Banks, plänkelten ab Mitte der 60er-Jahre neben ihrem Studium an einer elitären Privatschule ein wenig an Klavier und Querflöte herum, also an Instrumenten, die Kinder bildungsnaher Eltern früh lernen. Zu den Internatszöglingen zählten auch Mike Rutherford und Anthony Phillips, die ernsthaft an der Gitarre unterwegs waren. Eine LP erschien 1969: "From Genesis to Revelation", so klang sie auch. Pur, nymphenartig, die Präraffaeliten haben so gemalt, wie die jungen Master damals aufspielten.

Außerdem meinte man es zu gut mit den Streichern. Es war nicht zum Aushalten. Nicht einmal für die Band selbst.

Hintern auf Eimer

Anfang 1970 traf man sich also im Christmas Cottage eines Freundes, überdachte die Sache, geriet in intellektuellen Dissens und ging des Gitarristen Phillips verlustig, des handwerklich fähigsten Musikers. Weil Band-Auflösung keine Option war, schaltete man eine Stellenanzeige im Melody Maker, suchte einen Drummer, wollte es nun mit mehr Wumms probieren. Es meldete sich: Phil Collins. Ein handfester Schlagzeuger, Profi und nicht beseelt vom Dünkel der oberen Zehntausend. Er passte zu der Etepetete-Truppe wie ein Hintern auf den Eimer, aber er brachte Qualität, Professionalität - und die Band allein damit nach vorne.

Anfangs machte man mit ihm noch auf Große Oper, mit Peter Gabriel ging der Phantasie-Gaul durch: Seine Bühnenroben wurden grotesk, er rasierte sich einen Anti-Irokesen, also lange Haare mit breitester Schneise in der Mitte - doch er sang den surrealen Quatsch mit einer unvergleichlich wunderbaren Stimme.

Genesis war nun mit Pomp und Circumstances zum Vorreiter des Bombast-Rock geworden, des Progressive Rock, des Artrock, you name it. Der Bruch kam 1975, Gabriel wurde zu dominant. Sein Konzept ließ Variationen nicht mehr zu. Die Ko-Gründer von Genesis merkten an, dass dies - indeed - nicht so weitergehe, und Gabriel ging.

Von da an wurde Genesis zu der Band, deren aufgelöste Teile jeweils solo und in Schrumpfform erfolgreicher wurden als im Verbund zuvor. Peter Gabriel wurde politisch, ging mit seiner Musik (und den dazugehörenden Video-Clips) durch die Decke. So aber auch Genesis, deren Konzept Phil Collins nun auf radiotauglichen Mainstream-Rock umbog, was dafür sorgte, dass Genesis nun auch von Mädchen, also den richtigen, gehört wurde. Dass man den Solo-Collins ab Ende der 80er-Jahre in jedem Aufzug dieses Planeten hören musste, war furchtbar, macht aber dessen Verdienste nicht geringer.

Die Alphamännchen sind sich auch heute nicht grün

Arte hat für eine unvergleichliche Dokumentation der wechselvollen Geschichte dieser Ausnahmeband nicht nur die üblichen Experten und Einordner, sondern auch alle aktuellen und ehemaligen Bandmitglieder zusammengebracht. Die Stars der Gruppe - Peter Gabriel, Phil Collins, Tony Banks, Mike Rutherford und Steve Hackett - kommen erstmalig wieder zu einem gemeinsamen Interview zusammen und schildern Werdegang und Erfolg der Band jeweils aus ihrer Sicht.

Was sofort auffällt: Die intellektuellen Alphamännchen Gabriel und Banks sind sich auch heute nicht besonders grün, wissen das aber britisch diskret zu unterdrücken, während Collins einfach die Rampensau in der Kombo ist und bleibt. Merke: Der Charme von Collins brachte Genesis den Erfolg. Das Charisma von Gabriel nicht.

Genesis. Die Geschichte einer Band, Arte, Samstag, 22 Uhr.

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