TV-Berichterstattung zur Fußball-WM:Kuschelkurs mit Brazzo

World Cup 2014 -

ZDF-Fußball-Experte Hasan Salihamidzic

(Foto: dpa)

ARD und ZDF sind mit den Protagonisten dieser WM eng. Sehr eng. Mit Salihamidzic oder Elber bekommen sie jeden Promi - und dazu eine Menge gespielter Privatheit mit null Informationsgehalt.

Von Ralf Wiegand

Sogar Oliver Welke, dem Superstar dieser Fernseh-WM in Brasilien, ist das kleine, verführerische Wörtchen am Dienstag rausgerutscht: uns. Für den Sportmoderator, -präsentator - oder was auch immer Welke ist - blieb die verbale Verschmelzung mit der deutschen Mannschaft allerdings folgenlos. Echte Sport-Journalisten trifft es härter.

Gerd Gottlob, ARD, hat sein uns sogar einen hübschen Shitstorm eingebracht: Mitten im Spiel Deutschland gegen Portugal hat den wütenden Kommentator ein unsauberes Abspiel in der deutschen Elf fast schon persönlich beleidigt: "Diese Fehler dürfen wir uns nicht erlauben!" Wir! Uns! Es folgte eine hitzige Debatte, ob "wir" nur die sagen dürfen, die auf dem Platz stehen oder halt am Stammtisch sitzen - nicht aber der Mann am Mikrofon. Das Publikum vor den Fernsehern, also die Masse aller Wirs in ihren teuren DFB- und billigen Discounter-Trikots, stellt sich demonstrativ hinter Gottlob. In einer Online-Hitparade der Bild-Zeitung, dem gedruckten Wir schlechthin, ("Wir sind Papst", "Wir sind Weltmeisterin") hält sich Gottlob jedenfalls wacker als Nummer eins.

Darüber, wie viel "wir" wir uns erlauben dürfen, wird freilich bei jedem großen Turnier mal geredet. Die Unabhängigkeit der Sportberichterstattung kann gewiss auf allzu enge rhetorische Umarmungen gut verzichten, aber letztlich mündet die Diskussion nur immer wieder in eine dieser typisch deutschen Patriotismus-Debatten - und damit direkt ins Abseits.

Den Krieg verliert der objektive Sportjournalismus bei dieser Weltmeisterschaft gerade ganz woanders.

ARD und ZDF haben nämlich ganz gezielt und konsequent Distanz durch Nähe ersetzt und damit eine der journalistischen Grundregeln einfach aus dem Spiel genommen. Eine Art embedded journalism findet dort in Brasilien und hier in Deutschland statt, wie es ihn in dieser Unverfrorenheit noch nicht gegeben hat. Da engagiert das ZDF zum Beispiel Ex-Profi Hasan Salihamidzic, der zuletzt dem Golfer Martin Kaymer Fragen stellte, die jedem Autor einer Schülerzeitung zu doof wären ("Wer ist Dein Lieblingsspieler?", "Wer ist Dein absoluter Top-Favorit?").

Elber als Türöffner

Salihamidzic, den Freund aller Spieler, als "Reporter" durch die Gegend zu schicken, sogar vor der WM ins Trainingslager der deutschen Elf ("Bringt den Titel heim, Jungs!"), soll - ja, was? Brazzo ist ein netter Kerl und kennt Gott und die Welt. Das qualifiziert ihn schon fürs ZDF-Team. Er holt halt seine Kumpels auf die Couch, Stefan Effenberg etwa oder Michael Ballack. Sie lachen, sie drücken sich. Und sie sagen nichts. Man ist unter Freunden und aus demselben Nest, Nachfragen überflüssig. Vorgetäuscht wird der besondere Zugang, gespielt wird Privatheit. Informationsgehalt: null.

TV-Berichterstattung zur Fußball-WM: In Brasilien und doch irgendwie weit weg: Die Moderatoren Oliver Welke, Oliver Kahn, Hasan Salihamidzic mit Sebastian Vettel, Reinhold Beckmann und Giovane Elber und Kathrin Müller-Hohenstein.

In Brasilien und doch irgendwie weit weg: Die Moderatoren Oliver Welke, Oliver Kahn, Hasan Salihamidzic mit Sebastian Vettel, Reinhold Beckmann und Giovane Elber und Kathrin Müller-Hohenstein.

(Foto: Screenshot ARD/ZDF)

Immerhin ist der Erlebniswert für den Ex-Profi Salihamidzic enorm. Nach dem "Interview" mit Kaymer ließ er sich noch zusammen mit dessen US-Open-Pokal fotografieren. Auch diese Szene ihres "Reporters" zeigte das ZDF ganz ungeniert.

Würde sich das einer der echten Sportreporter erlauben, die gerne im Spät-Programm der WM versteckt werden, würde er gerupft - zurecht. Die Promi-Reporter sind so frei, zu herzen und zu busseln. Über den Gebrauch von "wir" und "uns" muss sich da keiner mehr Gedanken machen.

In der ARD lassen sie Giovane Elber als Türöffner auf die Sportler los, neulich ging der frühere Bayern-Stürmer sogar mit in die Mixed Zone, den eigentlich Journalisten vorbehaltenen Interview-Bereich im Stadion. Hoffnung: Bei Kumpel Elber bleiben auch die Brasilianer stehen. So war es auch. Bei der ersten Frage dolmetschte er noch seinen ARD-Kollegen, die zweite stellte er gleich selbst. Als Reinhold Beckmann bei anderer Gelegenheit aber über Ausschreitungen am Rande eines Spiels mit Elber reden wollte, wurde der Abgrund dieser Sender-Strategie offenbar: Dass die Demonstranten randaliert und einen Millionen-Schaden angerichtet hätten, sei wohl "ein bisschen zu viel" gewesen. Ach so.

Bei Katrin Müller-Hohenstein in guten Händen

Man fragt sich auch, was die gelernten Sportjournalisten mit Sprechausbildung in den Teams der WM-Sender eigentlich davon halten, dass der Spielerscout der TSG Hoffenheim, Lutz Pfannenstiel, mit seinem eigenwilligen Dialekt mehr Sendezeit bekommt als sie? Oder dass Fernanda Brandaos Gehopse im Fan-Röckchen das Stimmungsbild dieser WM spiegeln soll?

Journalismus braucht kein Mensch. Wenn Beißer Suarez schon vor dem ZDF-Mikro posiert, muss man ihn ja nicht absichtlich mit einer Frage nach seiner kannibalistischen Neigung vertreiben. Ein paar Späße von Oliver Kahn danach tun es auch.

Bei all diesen Peinlichkeiten fällt immerhin die Badelatschen-Hausiererin Katrin Müller-Hohenstein, geparkt direkt am Puls unserer Elf, schon gar nicht mehr ins Gewicht. Wir sind uns sicher: Bei ihr sind unsere Jungs wenigstens in guten Händen.

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