Türkischer Premier gegen die Presse:Die bösen Journalisten

Der türkische Premier Tayyip Erdogan wettert gegen die Kolumnisten des Landes. Und die wüten nun zurück.

Kai Strittmatter

Dass Tayyip Erdogan polarisiert, ist ein alter Hut. Gerade die türkische Presse teilt sich in Bewunderer und erbitterte Feinde und irgendwo dazwischen ein Häuflein unabhängiger Liberaler, die bei aller Skepsis dem Premierminister oft Respekt zollen für seinen Kampf mit dem undemokratischen alten Apparat. Letzte Woche aber gelang Erdogan etwas Besonderes: Er schaffte es, Freund und Feind in einem Lager zu vereinen. Gegen sich.

Eine seltsame Plattform ist das, auf der sich mit einem Mal Journalisten des kemalistischen Kampfblattes Cumhuriyet Hand in Hand finden mit solchen des streng islamischen Sturmgeschützes Vakit, Redakteure der islamisch-liberalen Zaman neben solchen des armeefreundlichen Massenblattes Hürriyet. Einen schönen Namen haben sie sich gegeben: "Kolumnisten außer Kontrolle". Nein, falsch, den Namen hat ihnen der Premier verpasst.

Eigentlich lief es innenpolitisch nicht schlecht für Erdogan in den vergangenen Wochen.

Die Staatsanwaltschaft setzte putschverdächtige Offiziere gleich im Dutzend fest, und wichtiger noch: Erstmals gestand der Generalstab selbst die Echtheit eines der Putschpläne ein - und blamierte damit all die Armeefreunde in der Presse, die der Regierung Erdogan vorwerfen, die Ermittlungen dienten lediglich der Einschüchterung innenpolitischer Gegner. Wie gesagt, es lief nicht schlecht.

Suche nach Schuldigen

Bis Erdogan eine seiner gefürchteten Reden hielt, diesmal vor Provinzfürsten seiner Partei AKP. Dabei fing auch die Rede gut an. Erdogan sagte nämlich, die Türkei müsse sich endlich auf den Weg zu einer "erstklassigen Demokratie" begeben. Die Wegbeschreibung dann fiel jedoch irritierend aus. Irgendwie stolperte Erdogan bei seiner Suche nach Schuldigen für die Krise im Land über die Presse. Genauer: über die Kolumnisten, jene Kaste von Meinungsmachern, die türkischen Zeitungen oft Reporter und Rechercheure ersetzen.

"Wenn die Börse um 6,5 Prozent fällt, dann wissen wir, wer schuld ist", sagte Erdogan. Jawohl: die Kolumnisten. Dann wandte er sich an die Bosse der Medienkonzerne, an die Leute also, die den Journalisten "ihre Stifte in die Hand drücken". Diese Bosse also sollten doch in der Lage sein, die Unruhestifter zu bescheiden: "Tut mir leid, Bruder, hier ist kein Platz für dich."

Stenographen der Bosse

Der Aufschrei war groß, und er wurde nicht kleiner, als Erdogan nachschob, er sei wohl missverstanden worden. Er habe es bloß satt, wenn Medienbosse sich ständig bei ihm entschuldigten, sie hätten ihre Kolumnisten nicht unter Kontrolle: "Wenn du einen Laden hast, behältst du dann das Personal, das fleißig mithilft, dass dein Laden untergeht? Nein, du feuerst ihn am nächsten Tag."

Dass Erdogan kaum Kritik verträgt, ist nicht neu. Er hat Karikaturisten vor Gericht gezerrt, weil sie ihn als Frosch oder als Ente gezeichnet haben. Seine Regierung verfolgt die ihm meist feindlich gesinnte Dogan-Mediengruppe mit einer existenzbedrohenden Steuerstrafe. Aber diesmal hat Erdogan selbst jene gegen sich aufgebracht, die ihm angesichts der oft hetzerischen Berichterstattung seine Ausbrüche meist nachsahen.

"Eine verkrüppelte Demokratie"

Erdogans Äußerungen seien "schockierend illiberal, tragisch und besorgniserregend", schreibt etwa der eigentlich mit Erdogan sympathisierende Kolumnist Mustafa Akyol. Wenn Erdogan die Bosse aufruft, ihre Journalisten an die Leine zu legen, dann erzürnt das die Liberalen deshalb, weil es zeigt, dass Erdogan offenbar das alte Spiel weiterzuspielen gedenkt, das so viele Regierungen gespielt haben: In der Türkei halten sich seit den 1980er Jahren Industrielle Zeitungen und TV-Sender, um damit ihre Interessen zu befördern; die Regierungen wiederum halten sich die Medien gewogen, indem sie die Interessen der Bosse bedienen.

Ahmet Altan, Chefredakteur der liberalen Taraf, schrieb, er träume von einer Türkei, in der Premierminister nicht länger Kolumnisten als "Stenografen ihrer Bosse" betrachten. Und Hürriyet-Kolumnistin Ferai Tinc griff eines von Erdogans jüngsten Schlagworten auf: "Wir sind nicht dazu verdammt, auf ewig eine verkrüppelte Demokratie zu sein". Stimmt, schrieb die Kolumnistin: "Aber ohne die Einsicht, dass Pressefreiheit eine der wichtigsten Voraussetzungen für Demokratie ist, kommen wir nie so weit."

Die "Kolumnisten außer Kontrolle" findet man online auf kontrolsuzkoseyazarlari.wordpress.com. Bis Sonntagabend hatten 59 der prominentesten türkischen Journalisten den Protest unterzeichnet.

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