Ich habe mit Enis in den schwierigen Jahren nach dem Militärcoup 1980 bei Cumhuriyet zusammengearbeitet. Danach gingen wir unsere eigenen Wege. 2009 setzte ihn Aydın Doğan, Vorsitzender der Doğan-Mediengruppe, als Chefredakteur für die Zeitung Hürriyet ein, wo Enis im August 2014 aufhörte, weil der politische Druck von Verlagsseite immer größer wurde.
Das war sein Moment, in dem das Messer auf den Knochen traf.
Was für ein schauriger Moment muss es nun gewesen sein, als Anfang dieser Woche sein ehemaliger Chef, besagter Aydın Doğan, mit Erdoğan und anderen Medienvertretern gemeinsam Ramadan an einem Iftar-Tisch feierte. Und das, kurz nachdem Enis ins Gefängnis kam. Enis' Fall sollte den Medien wohl klarmachen, was auf sie zukomme.
Als der Protestmarsch begann, berichtete der Sender der Doğan-Gruppe über Belangloses
Erdoğan machte eine klare Ansage: "Einige westliche Institutionen kommen zu uns mit der Kritik, bei uns seien Journalisten in Haft. Schaut, Freunde, hier sind die Zahlen: Von den 177 Menschen, die sagen, sie seien als Journalisten verhaftet worden, besitzen nur zwei einen Presseausweis. Einer sitzt im Gefängnis, weil er einen Mord begangen hat, der ganze Rest, weil er Verbindungen zum Terrorismus hat. Wir sagen: Glaubt ihr den Unterlagen unserer Regierung oder den verbreiteten Lügen?
Journalismus und Hochverrat sind zwei verschiedene Dinge. Es gibt keinen Unterschied zwischen denjenigen, die Artikel im Auftrag der Terroristen schreiben, und jenen, die selbst zu den Waffen greifen und in die Berge gehen. Ein Preis wird gezahlt werden müssen, wenn es um unsere nationale Sicherheit geht. Vergesst nicht: Justiz gehört in Gerichtssäle, nicht auf die Straße."
Weiter sagte Erdoğan, der Gerechtigkeitsmarsch der CHP sei ein Akt des Terrors. Keiner der Medienvertreter wagte eine Frage. Natürlich wurden auch Fotos geschossen: Das Lächeln, das Aydın Doğan beim Handschlag Erdoğan zuwarf, ist bezeichnend - sein ehemaliger Mitarbeiter Enis Berberoğlu scheint vergessen.
Nur die inzwischen marschierende CHP kritisierte das Treffen der Medienvertreter mit dem Präsidenten. Der Abgeordnete Aykut Erdoğdu interpretierte die Rede Erdoğans dahingehend, dass Erdoğan die Journalisten bedränge, nicht über den Marsch der CHP zu berichten. Und tatsächlich: Am Tag, als die größte Oppositionspartei der Türkei, die CHP, ihren Protestmarsch in Ankara begann, wurde bei CNN, einem Sender der Doğan-Gruppe, über viel Belangloses berichtet. Über den Marsch hingegen nicht.
Der Autor ist Journalist und Träger des European Press Prize. Er hält sich derzeit außerhalb der Türkei auf. Deutsch von Timo Lehmann.
- "Jetzt droht eine eiserne Zeit" (I)
- "Der Türkei droht das Ende eines unabhängigen Journalismus" (II)
- "Wir haben es mit massiven 'Säuberungen' zu tun" (III)
- "Die Verhaftungswellen hören nicht auf" (IV)
- "Ausnahme ist kein Zustand" (V)
- "Erdoğan treibt die türkischen Eliten ins Ausland" (VI)
- "Die Hexenjagd hat begonnen" (VII)
- "Erdoğan regiert per Dekret - was das heißt, weiß in der Türkei jeder" (VIII)
- "Erdoğan vollzieht den 'zivilen Staatsstreich'" (IX)
- "Erdoğan begünstigt Manipulation und Desinformation" (X)
- "Schweigen ist jetzt der Feind der Demokratie" (XI)
- "Die Türkei nimmt Angehörige in Geiselhaft" (XII)
- "'Sie werden sterben wie Kanalratten'" (XIII)
- "Wo sind die AKP-Mitglieder, die am Putsch teilgenommen haben?" (XIV)
- "Italien sollte sich lieber um die eigene Mafia kümmern" (XV)
- "Warum man Erdoğan nicht trauen kann" (XVI)
- "Du bist als nächstes dran" (XVII)
- "Wir wollen Exekutionen" (XVIII)
- "Jeder ist verdächtig" (XIX)
- "Exodus der türkischen Elite" (XX)
- "Ist es ein Verbrechen, mit einem Reporter verheiratet zu sein?" (XXI)
- "Erdoğan hält die Massen in explosiver Hypnose" (XXII)
- "Es ist Zeit aufzuwachen" (XXIII)
- Türkische Chronik (I): Wie die AKP Verschwörungstheorien über den Putsch befeuert
- Enteignungen wie im Osmanischen Reich (II)
- Haftbefehl ohne Grund (III)
- Man muss die Dinge beim Namen nennen (IV)
- Die alten Foltermethoden sind zurück in der Türkei (V)
- "Man sollte uns unseren richtigen Job machen lassen" (VI)
- Türkei zieht Schrauben der Unterdrückung weiter an (VII)
- "Bedauerlich, dass wir Journalisten das Hauptthema der Nachrichten sind"(VIII)
- Erdoğan plant eine Islamisierung der Schulen (IX)
- Was geschah wirklich in der Nacht vom 15. Juli? (X)
- Die Türkei steht kurz vor einem Bürgerkrieg (XI)
- Wie lange wird die EU der schrecklichen Eskalation standhalten? (XII)
- Verhaftete türkische Journalisten sollten Ehrenbürger werden (XIII)
- Die Kurden verlieren ihre Heimat (XIV)
- Erdoğan fegt sie einfach weg (XV)
- Erdoğan und Trump - Die Zeichen stehen auf hässliche Realpolitik (XVI)
- War der Militärputsch vorhersehbar? (XVII)
- Demokratie in der Türkei - wenn alles zerrinnt (XVIII)
- Russland wird seine Chance nutzen (XIX)
- Das Jahr eines intensiven Albtraums (XX)
- Die AKP erntet, was sie gesät hat (XXI)
- Erdoğan nähert sich seinem Ziel (XXII)
- Der Todeskampf des türkischen Schulsystems (XXIII)
- Jazz war Aktionismus (XXIV)
- Scheidung - und dann? (XXV)
- Sie wollen alle Fremdkörper "entfernen" (XXVI)
- Das Land der Fäulnis (XXVII)
- Nur noch ein kurzer Weg zum Faschismus (XXVIII)
- Die Presse als erstes Angriffsziel (XXIX)
- Prozess als Farce (XXX)
- Die neuen Jungtürken aus Köln (XXXI)
- Berufsverbot für Akademiker (XXXII)
- Dinner mit den Underdogs (XXXIII)
- Das Bangen vor dem Referendum (XXXIV)
- Mit der Türkei, wie wir sie kennen, ist es vorbei (XXXV)
- Die Unterdrückten werden ihre innere Stärke wiederfinden (XXXVI)
- Man muss auf eine demokratische Alternative hoffen (XXXVII)
- Wie weit kann man die Grausamkeit noch treiben? (XXXVIII)
- Bücher in die Verbannung (XXXIX)
- Rechtfertigen Erdoğans Schikanen einen Hungerstreik? (XL)
- Wer gegen Erdoğan ist, muss hungern (XLI)
- Jetzt wurde auch noch ein UN-Richter verurteilt (XLII)
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- Erdoğan ist das personifizierte Problem der Türkei (XLVII)
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- Erdoğans neuer Staat naht (XLIX)