Türkische Chronik (XLIII):Erdoğan machte eine klare Ansage

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Ich habe mit Enis in den schwierigen Jahren nach dem Militärcoup 1980 bei Cumhuriyet zusammengearbeitet. Danach gingen wir unsere eigenen Wege. 2009 setzte ihn Aydın Doğan, Vorsitzender der Doğan-Mediengruppe, als Chefredakteur für die Zeitung Hürriyet ein, wo Enis im August 2014 aufhörte, weil der politische Druck von Verlagsseite immer größer wurde.

Das war sein Moment, in dem das Messer auf den Knochen traf.

Was für ein schauriger Moment muss es nun gewesen sein, als Anfang dieser Woche sein ehemaliger Chef, besagter Aydın Doğan, mit Erdoğan und anderen Medienvertretern gemeinsam Ramadan an einem Iftar-Tisch feierte. Und das, kurz nachdem Enis ins Gefängnis kam. Enis' Fall sollte den Medien wohl klarmachen, was auf sie zukomme.

Als der Protestmarsch begann, berichtete der Sender der Doğan-Gruppe über Belangloses

Erdoğan machte eine klare Ansage: "Einige westliche Institutionen kommen zu uns mit der Kritik, bei uns seien Journalisten in Haft. Schaut, Freunde, hier sind die Zahlen: Von den 177 Menschen, die sagen, sie seien als Journalisten verhaftet worden, besitzen nur zwei einen Presseausweis. Einer sitzt im Gefängnis, weil er einen Mord begangen hat, der ganze Rest, weil er Verbindungen zum Terrorismus hat. Wir sagen: Glaubt ihr den Unterlagen unserer Regierung oder den verbreiteten Lügen?

Journalismus und Hochverrat sind zwei verschiedene Dinge. Es gibt keinen Unterschied zwischen denjenigen, die Artikel im Auftrag der Terroristen schreiben, und jenen, die selbst zu den Waffen greifen und in die Berge gehen. Ein Preis wird gezahlt werden müssen, wenn es um unsere nationale Sicherheit geht. Vergesst nicht: Justiz gehört in Gerichtssäle, nicht auf die Straße."

Weiter sagte Erdoğan, der Gerechtigkeitsmarsch der CHP sei ein Akt des Terrors. Keiner der Medienvertreter wagte eine Frage. Natürlich wurden auch Fotos geschossen: Das Lächeln, das Aydın Doğan beim Handschlag Erdoğan zuwarf, ist bezeichnend - sein ehemaliger Mitarbeiter Enis Berberoğlu scheint vergessen.

Nur die inzwischen marschierende CHP kritisierte das Treffen der Medienvertreter mit dem Präsidenten. Der Abgeordnete Aykut Erdoğdu interpretierte die Rede Erdoğans dahingehend, dass Erdoğan die Journalisten bedränge, nicht über den Marsch der CHP zu berichten. Und tatsächlich: Am Tag, als die größte Oppositionspartei der Türkei, die CHP, ihren Protestmarsch in Ankara begann, wurde bei CNN, einem Sender der Doğan-Gruppe, über viel Belangloses berichtet. Über den Marsch hingegen nicht.

Der Autor ist Journalist und Träger des European Press Prize. Er hält sich derzeit außerhalb der Türkei auf. Deutsch von Timo Lehmann.

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