Pressefreiheit:Eine der letzten Investigativ-Journalistinnen der Türkei

Türkei: Journalistin Pelin Ünker von der Zeitung "Cumhuriyet"

Präsident Erdoğans Schwiegersohn Berat Albayrak und der türkische Ex-Premier Binali Yıldırım haben die Journalistin Pelin Ünker verklagt.

(Foto: Vedat Arik)

Seit Jahren legt sich Pelin Ünker mit AKP-Granden und Erdoğans Freunden an. Jetzt steht sie deshalb in Istanbul vor Gericht.

Von H. Munzinger, F. Obermaier, C. Schlötzer und L. Seeling, Istanbul/München

Ein hoher Metallzaun, darüber Stacheldraht, Kontrollen am Tor und dann noch mal am Eingang: Das Redaktionsgebäude der türkischen Zeitung Cumhuriyet im Istanbuler Geschäftsviertel Şişli ist eine Festung. Cumhuriyet heißt "Republik", der Name ist Programm, das Blatt verteidigt von seiner Gründung im Jahr 1924 bis heute die Prinzipien eines säkularen Staates. Pelin Ünker kam vor zehn Jahren zu Cumhuriyet, sie wollte seither nie für eine andere Zeitung arbeiten. Als die Süddeutsche Zeitung die weltweiten Panama-Papers-Recherchen anstieß, berichtete die heute 34-Jährige darüber, bei den sogenannten Paradise-Papers-Enthüllungen im vergangenen Jahr war sie von Beginn an dabei. Die junge Journalistin legte sich mit den Freunden von Präsident Recep Tayyip Erdoğan an, mit ihm nahestehenden Geschäftsleuten, mit seinem früheren Premier, am Ende gar mit Erdoğans Schwiegersohn Berat Albayrak. Albayrak und der türkische Ex-Premier Binali Yıldırım haben Ünker nun verklagt. Um inhaltliche Fehler in der Berichterstattung geht es dabei nicht. Vielmehr - so fürchten Kritiker und Menschenrechtler - soll offenbar eine der letzten verbliebenen Investigativjournalistinnen der Türkei mundtot gemacht werden.

Ein Treffen mit Pelin Ünker: Sie sitzt an einem runden Tisch im Empfangsraum von Cumhuriyet, das Mobiliar hat bessere Zeiten gesehen, an den Wänden Schwarzweißfotos aus der Gründerjahren des Blattes. Das Teeglas auf dem Tisch rührt sie nicht an. Ünker hat wenig Zeit. Über ihre Steueroasen-Recherchen zu Erdoğans Umfeld aber spricht sie gerne.

Im November 2017 hatte Ünker berichtet, dass den Söhnen des damaligen Premierministers Binali Yıldırım, Erkam und Bülent Yıldırım, Anteile an mehreren maltesischen Firmen gehörten. Ünker stützte sich dabei auf vertrauliche Unterlagen, die der Süddeutschen Zeitung zugespielt worden waren. Die SZ hatte etwa 13,4 Millionen Dokumente mit dem Internationalen Netzwerk Investigativer Journalisten (ICIJ) geteilt und damit die sogenannten Paradise Papers angestoßen. Die Recherchen belegten, dass Konzerne wie Nike, Apple, Uber oder Facebook ihre Steuern auf lächerlich geringe Sätze schrumpfen lassen; sie zeigten zudem, wie die politischen Eliten die verschwiegene Welt der Steueroasen nutzen, auch in der Türkei.

Die Journalistin wird verklagt, Ünker habe in der Öffentlichkeit "ein falsches Bild" erzeugt

Der Premierminister-Sohn Erkam Yıldırım war demnach Anteilseigner von vier maltesischen Gesellschaften, für eine weitere unterzeichnete er offizielle Dokumente. Zwei dieser Firmen, die Hawke Bay Marine Co. LTD sowie die Black Eagle Marine Co. LTD, hielt er gemeinsam mit seinem Bruder Bülent. Die SZ hat sich entschieden, ausgewählte Dokumente zu dem Fall in - soweit nach deutschem Recht geboten - geschwärzter Form der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Sie können unter www.sz.de/uenker eingesehen werden.

Für türkische Bürger ist es - ebenso wie für Deutsche - nicht per se illegal, eine maltesische Firma zu besitzen oder zu leiten. Man muss jedoch wissen, dass Malta nach einem Prinzip funktioniert, dem Europa eigentlich den Kampf angesagt hat: Firmen leiten Gewinne an ihre maltesischen Tochterunternehmen weiter, die so tun, als würden sie auf der Mittelmeerinsel wirklich Geschäfte betreiben. Tatsächlich zahlen sie dort nur weniger Steuern. So gehen jenen Staaten, in denen die Gewinne in Wirklichkeit entstanden sind, jährlich Milliarden verloren.

Als Cumhuriyet im November 2017 den ersten von Ünkers Paradise-Papers-Artikeln veröffentlichte, verteidigte der damalige Premier Binali Yıldırım die Offshore-Gesellschaften seiner Söhne als übliche Geschäftsform in der Schifffahrtsindustrie: "Der maritime Sektor ist ein globales Geschäft, da gibt es keine Geheimnisse", sagte er. "Diese Unternehmen sind offen und klar." Und er ergänzte, die familiären Geschäfte habe er bereits 2002, zu Beginn seiner politischen Karriere, an die Söhne übergeben; er habe ihnen eingeschärft, das private Geschäft strikt von staatlichen Aufträgen zu trennen. Doch Ünker legte nahe, dass Sohn Erkam sich nicht an den Rat des Vaters gehalten haben könnte: Am folgenden Tag veröffentlichte sie einen weiteren Artikel, der zeigte, dass nur wenige Monate zuvor ein staatlicher Auftrag im Wert von sieben Millionen Dollar an eine Firma vergeben wurde, die dieselbe Adresse in Istanbul hatte wie Erkams maltesische Firma Nova Warrior. Und jene Firma gehörte ausgerechnet einem guten Freund der Familie.

Da war es mit der Gelassenheit der Yıldırıms vorbei. Vater Binali und seine beiden Söhne verklagten die Journalistin, einen weiteren Kollegen und die Zeitung wegen Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte, Ünker habe in der Öffentlichkeit "ein falsches Bild" erzeugt. Sie verlangen eine Entschädigung von 500 000 Lira, derzeit umgerechnet knapp 65 000 Euro. Auf SZ-Anfrage antworteten Yıldırım und seine Söhne nicht. An diesem Donnerstag steht Ünker wegen ihrer Klage in Istanbul vor Gericht.

Wie gefährlich es ist, Erdoğans Schwiegersohn in die Quere zukommen, weiß nicht nur sie

Neben Yıldırım hat noch ein weiterer Erdoğan-Vertrauter Ünker verklagt: Berat Albayrak, Finanzminister und Schatzmeister der Türkei und - was vielleicht viel wichtiger ist: Schwiegersohn des Präsidenten. Er gilt als Kronprinz. Ihn, nicht die eigenen Söhne, baut Erdoğan augenscheinlich zum potenziellen Nachfolger auf. Wie gefährlich es ist, ihm in die Quere zu kommen, zeigte sich 2016: Die Enthüllungsplattform Wikileaks hatte damals Tausende E-Mails von Albayrak veröffentlicht. Sie legten nahe, dass Albayrak in die illegale Einfuhr von irakischem Erdöl aus den Händen des IS verwickelt sein könnte. Auch der deutsch-türkische Welt-Korrespondent Deniz Yücel berichtete seinerzeit darüber. Es wird vermutet, dass dies der eigentliche Grund für seine Verhaftung gewesen sein könnte, auch wenn es in der späteren Anklage gegen Yücel um andere Vorwürfe ging.

Pelin Ünker ist mittlerweile schon zum zweiten Mal von Albayrak verklagt worden: Das erste Mal wegen der Panama Papers, nun geschah es wegen ihrer Paradise Papers-Berichterstattung. In den Panama Papers tauchte eine Firma mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln auf, die einst von der Çalık-Holding gegründet wurde. Vorstandschef der Çalık-Holding war von 2007 bis 2013 Berat Albayrak. Eine Panama-Papers-Verbindung bestand insofern nur sehr indirekt, dies betonte Ünker auch in ihrer Berichterstattung. Albayrak klagte dennoch - und verlor.

"Hier war fast jeder schon mal vor Gericht"

Nun ist es aber so, dass Albayraks Bruder Serhat in den Paradise Papers auftaucht, und auch darüber hat Ünker berichtet. Er war, so Dokumente aus dem maltesischen Firmenregister, Direktor einer 2003 gegründeten und 2009 aufgelösten Firma mit dem Namen Frocks International Trading Ltd. Diese war eine Tochterfirma der Çalık-Holding, deren Vorstandschef wiederum, wie bereits erwähnt, der spätere Minister Berat Albayrak war. Die Çalık Holding antwortete bis Mittwoch nicht auf eine auf SZ-Anfrage.

Berat Albayrak klagte auch in diesem Fall gegen Pelin Ünker - der Prozess ist für November angesetzt. Albayrak ließ eine Anfrage unbeantwortet. Tweets, die Ünker, die türkische Journalistengewerkschaft und die Organisation "Reporter ohne Grenzen" (ROG) über die Paradise-Papers-Verbindung der Albayraks versendet hatten, wurden von einem Istanbuler Gericht zensiert.

2016 erhielt die "Cumhuriyet"den Alternativen Nobelpreis. Sie steht nun für die Pressefreiheit

Pelin Ünker sagt, sie mache sich wegen des Gerichtsverfahrens keine Sorgen. "Ich denke nicht ständig daran, aber das hat mit Cumhuriyet zu tun, hier war fast jeder schon mal vor Gericht. Das ist für uns leider ganz normal." Als Cumhuriyet 2015 über mutmaßliche Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an Islamisten in Syrien berichtete, stellte Präsident Erdoğan persönlich Strafanzeige, wegen des Verrats von Staatsgeheimnissen und Spionage. Öffentlich drohte er, die Verantwortlichen würden "einen hohen Preis zahlen". Nach dem Putschversuch vor zwei Jahren verschärfte sich die Lage der Zeitung. Zahlreiche prominente Cumhuriyet-Redakteure wurden unter dem Vorwurf angeblicher "Terrorpropaganda" verhaftet, Chefredakteur Can Dündar floh nach Deutschland.

Spätestens als die Cumhuriyet-Redaktion 2016 für ihre Arbeit den Alternativen Nobelpreis erhielt, wurde sie auch international zum Symbol für die türkische Pressefreiheit - oder dem, was davon noch übrig ist. Nach Angaben von ROG sind allein seit dem gescheiterten Putschversuch 150 Medien geschlossen und mehr als 100 Journalisten zumindest zeitweise verhaftet worden. Im jährlichen ROG-Pressefreiheits-Ranking liegt die Türkei auf Platz 157 von 180, die Organisation bezeichnet das Land als "größtes Gefängnis für professionelle Journalisten".

Das sind die Bedingungen, unter denen Cumhuriyet um ihre Existenz kämpft. Nicht nur der politische Druck nimmt zu, die Repression schnürt der Zeitung auch finanziell die Luft ab - erst recht, wenn die Gerichte den laufenden Schadenersatzforderungen stattgeben sollten. Die Auflage der Zeitung ist von mehr als 150 000 Mitte der Neunziger auf etwa 38 000 Exemplare gesunken, das Anzeigengeschäft liegt brach. Kaum ein Unternehmen wagt es noch, in regierungskritischen Medien zu inserieren.

Viele sind es ohnehin nicht mehr, "unabhängige Zeitungen gibt es nun weniger als Finger an einer Hand", wie Ünker sagt. Auch investigative Journalisten gibt es immer weniger, wenngleich es dazu keine genauen Zahlen gibt. Einer der berühmtesten Enthüllungsjournalisten der Türkei, Ahmet Şık, der wegen seiner hartnäckigen Recherchen schon mehrmals im Gefängnis saß, hat sich vor ein paar Monaten vom Journalismus verabschiedet. Er könne seinen Beruf nicht mehr ausüben, erzählte er in Interviews: Seine Quellen trauten sich nicht mehr, seine Anrufe entgegenzunehmen, geschweige denn, ihm Informationen zuzutragen. Stattdessen sitzt Şık seit Juni für die linke und prokurdische HDP im Parlament. Eines seiner wichtigsten Ziele: sich für die Pressefreiheit einsetzen.

Ein strukturelles Problem der türkischen Medienlandschaft ist, dass die meisten Medien mit relevanter Reichweite in der Hand großer Mischkonzerne sind. Diese wiederum sind oft auch in der Bau- oder Energiebranche tätig, buhlen also um staatliche Aufträge; regierungskritische Berichterstattung beschädigt das Geschäft. Der Druck auf Journalisten, vor allem auf solche, die über Korruption berichten, kommt also nicht nur aus der Politik, sondern oft von den Eigentümern der eigenen Zeitung, sagt der im französischen Exil lebende Journalist Yavuz Baydar, Mitgründer der türkischen Plattform für Unabhängigen Journalismus (T24) und Chefredakteur des noch relativ neuen Nachrichtenportals Ahval. Viele Investigativ-Journalisten, sagt Baydar, seien in den vergangenen Jahren gefeuert oder an die Peripherie gedrängt worden. Mit Peripherie meint er: kleine, unabhängige Medien, deren Reichweite aber zu gering sei, um die Massen zu erreichen.

Pelin Ünker will weitermachen, "Journalismus ist unser Job, wir müssen ihn auch unter schwierigen Bedingungen ausüben". Und dennoch: Ihre Recherchen, so wichtig sie auch sind, finden wenig Widerhall. Über die Paradise Papers haben viele türkische Medien zunächst nur allgemein berichtet, die Verwicklungen Albayraks und der Yıldırım-Familie kamen kaum vor. Erst als die Opposition im Parlament für einen Untersuchungsausschuss kämpfte - letztlich vergeblich, die AKP bügelte den Vorstoß ab -, griffen mehr Medien das Thema auf. Die Vorsicht war nicht unbegründet, prompt ereilte weitere Journalisten Ünkers Schicksal: Sie wurden verklagt. So musste etwa die Journalistin Çağrı Sarı von der linken Tageszeitung Evrensel vor Gericht erscheinen, nachdem sie über die Cumhuriyet-Recherchen berichtet hatte. Ein Cartoonist, der sich zeichnerisch über Yıldırıms Aussagen zu Offshore-Firmen mokiert hatte, wurde ebenfalls auf Entschädigung verklagt.

Berat Albayrak, der neue starke Mann in der Türkei, der nun die Klage gegen Pelin Ünker vorantreibt, wird Ende September übrigens nach Deutschland kommen. Er trifft Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Zur Frage, ob dieser Albayraks Klage gegen Ünker thematisieren werde, wollte sich ein Ministeriumssprecher nicht äußern.

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