Süddeutsche Zeitung

Türkei:Nur Superhelden kennen keine Angst

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Canan Coşkun, Reporterin der türkischen Zeitung "Cumhuriyet", erzählt, wie sich ihr Alltag seit dem Putschversuch 2016 verändert hat und warum sie trotzdem weiter macht.

Interview von Luise Checchin

Die 30-jährige Canan Coşkun arbeitet seit 2012 bei der türkischen Tageszeitung Cumhuriyet . Als Justizreporterin ist sie für die Gerichte in Istanbul zuständig. Derzeit läuft nahe der Stadt ein Prozess gegen 18 Mitarbeiter der Zeitung, die beschuldigt werden, Terrororganisationen zu unterstützen. Von drei Journalisten unter ihnen, die mehr als 430 Tage in Untersuchungshaft sitzen, wurden am Wochenende zwei auf freien Fuß gesetzt - Chefredakteur Murat Sabuncu und Investigativjournalist Ahmet Şık. Herausgeber Akin Atalay bleibt in Haft. Der frühere Chefredakteur Can Dündar, der in Deutschland lebt, ist im Mai zu fünf Jahren Haft wegen Geheimnisverrats verurteilt worden; nach dem Willen des Obersten Gerichtshofs in Ankara soll sein Prozess nun neu aufgerollt und um den Vorwurf der Spionage erweitert werden. Wie arbeitet man unter solchen Umständen?

SZ: Die Cumhuriyet ist eine der wenigen Zeitungen in der Türkei, die noch unabhängig berichtet. Wie muss man sich die Stimmung in der Redaktion derzeit vorstellen?

Canan Coşkun: Die Situation ist angespannt, das merkt man schon an den äußeren Umständen: Weil Erdoğan und andere AKP-Politiker, aber auch regierungsnahe Medien immer wieder gegen die Cumhuriyet hetzen, stehen vor unserem Redaktionsgebäude seit Längerem gepanzerte Polizeiwagen und schwerbewaffnete Polizisten.

Wie hat sich Ihr journalistischer Alltag seit dem Putschversuch im Juli 2016 verändert?

Für mich als Gerichtsreporterin ist zum Beispiel das Arbeitspensum ganz massiv angestiegen. Nach dem Putschversuch wurden die Gefängnisse ja mit Tausenden Oppositionellen gefüllt. Es gab damals Tage, in denen wir Journalisten bis Mitternacht die Gerichtssitzungen verfolgten und dann in den Zimmern der Anwaltskammer übernachteten. Auch die Zahl der Prozesse, in denen es um Journalismus geht, ist deutlich angestiegen. Ich verfolge fast jede Woche einen Prozess, bei dem ein Journalist vor Gericht steht.

Schreiben Sie anders, seit sich die Repressionen gegen Journalisten verschärft haben?

Es ist nicht so, dass ich Dinge anders formulieren würde als früher. Auch vor dem Putschversuch gab es ja schon Druck auf uns regierungskritische Medien. Damals habe ich meine Wortwahl nicht eingeschränkt und das tue ich auch heute nicht. Wir können die Wahrheit nicht biegen und beugen, weil der Druck wächst. Es gibt aber durchaus Artikel, bei denen ich vor dem Schreiben lange überlege, wie ich mich ausdrücken soll. Da geht es allerdings eher darum, wie ich die Rechtsverstöße, die ich in den Prozessen beobachte, meiner Leserschaft am präzisesten und verständlichsten erklären kann.

Gibt es Anzeichen, dass staatliche Stellen Sie bei Ihrer Arbeit überwachen?

Ja, die gibt es durchaus. Einmal bin ich zum Beispiel in einer Anklageschrift plötzlich über ein Telefongespräch zwischen mir und einem Polizisten gestolpert, gegen den ermittelt wurde. Ich hatte den Beamten damals darauf hingewiesen, dass mein Telefon wahrscheinlich abgehört wird. Ich fand das eher lustig, als ich es in den Akten las. Und ich habe bis jetzt auch nichts unternommen, um mich vor Überwachungsmaßnahmen zu schützen - ich habe schließlich nichts zu verbergen.

Auch gegen Sie laufen mehrere Prozesse. Worum geht es da genau?

Es geht immer um Artikel von mir. Zum Beispiel um Texte, in denen ich darüber berichtet habe, dass einige Juristen Luxuswohnungen zu viel zu niedrigen Preisen gekauft haben. In anderen Artikeln geht es um Polizeigewalt oder die Lieferung von Explosionsstoffen an den IS. Ich bin deswegen schon mehrfach zu Geldstrafen verurteilt worden. Dagegen habe ich Berufung eingelegt, die Verfahren laufen noch.

Sie haben es schon erwähnt: Viele Ihrer Kollegen sind verhaftet worden. Wie gehen Sie mit der Angst um, dass Ihnen das Gleiche passieren könnte?

Wenn ich sagen würde, dass ich keine Angst hätte, wäre das gelogen. Ich bin ja schließlich keine Superheldin. Aber ich lasse es nicht zu, dass diese Angst mein Leben bestimmt. Und in meinem ganz normalen Arbeitsalltag, wenn es etwa darum geht, einen Artikel rechtzeitig in die Redaktion zu schicken, denke ich ohnehin nicht über so etwas nach.

Reden Sie mit Ihren Kollegen über den Druck, unter dem Sie alle stehen?

Ja, aber wir trivialisieren das, wir scherzen sogar darüber, wenn wir unter uns sind.

Und was ist mit Ihrer Familie?

Die hatte am Anfang schon Angst, dass ich verhaftet werde. Aber auch sie hat sich mittlerweile an die Situation gewöhnt.

Was treibt Sie an, Ihren Beruf trotz der Repressionen weiter auszuüben?

Wenn irgendwo Unrecht geschieht, dann sollten das möglichst viele Menschen erfahren, finde ich. Als Journalistin ist es meine Aufgabe, all denen eine Stimme zu geben, die unterdrückt werden und die ansonsten niemand hören würde.

Tun Deutschland und die EU Ihrer Meinung nach genug, um Journalisten in der Türkei zu unterstützen?

Nein, ich finde es sehr bedenklich, wie still Deutschland und die EU sind, während in der Türkei grundlegende Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Hier werden ja noch nicht mal mehr die Beschlüsse des Verfassungsgerichts eingehalten. Dieses Stillhalten hat natürlich Gründe - im Fall von Deutschland vor allem das Flüchtlingsabkommen, das Berlin mit Ankara geschlossen hat. Es ist alles schon sehr ironisch: Am 8. Februar 2016 gab es eine Pressekonferenz von dem damaligen Premier Ahmet Davutoğlu und Angela Merkel, bei der es um das Flüchtlingsabkommen ging. Deniz Yücel stellte als Korrespondent der Welt eine Frage zu den inhaftierten Journalisten in der Türkei. Davutoğlu bestritt, dass in der Türkei Menschen wegen ihrer journalistischen Tätigkeit im Gefängnis sitzen, Merkel wich der Frage weitestgehend aus. Ein Jahr später wurde Yücel verhaftet, der Journalist, der die Frage gestellt hatte. Ich denke, gegen das Unrecht in der Türkei hilft es wenig, wenn man nur Floskeln abgibt, nach dem Motto "dies und das sollte getan werden". Wer untätig zusieht, wie woanders Böses geschieht, macht sich an diesem Bösen mitschuldig.

Mitarbeit: Selçuk Salih Caydi

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Quelle:
SZ vom 13.03.2018
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