Türkei:Wie der Putschversuch zwei Journalistinnen berühmt machte

Die eine wurde unfreiwillig zur Stimme der Armee, die andere folgte ihrem journalistischen Instinkt.

Von Hakan Tanriverdi und Carolin Gasteiger

In der Nacht auf Samstag traten nicht nur Putschisten aus der Türkei in die Welt, sondern auch zwei Journalistinnen. Tijen Karaş und Başak Şengül dürften schon jetzt Personen türkischer Zeitgeschichte sein. Allein aufgrund der Art, wie sie den Putschversuch erlebt haben.

Tijen Karaş, Nachrichtensprecherin beim regierungsfreundlichen Fernsehsender TRT, sitzt aufrecht vor der Kamera, der Blick geradeaus, ihre Hände verschränkt. Mit fester Stimme verliest die 41-Jährige in den frühen Morgenstunden die zentrale Botschaft der Putschisten, als diese sich noch siegessicher wähnten. In der Erklärung des Militärs heißt es, mit der Aktion sollten die demokratische Ordnung erhalten und Menschenrechte geschützt werden. Karaş teilte diese Absicht der Welt mit:

Und doch zittert ihre Stimme leicht. Denn, was in dem Video nicht zu sehen ist: Hinter der Kamera richten die Aufständischen Waffen auf Karaş, wie sie später erzählen wird. "Wir haben drei, vier Stunden des Alptraums erlebt" sagte sie, nachdem der Sender wieder on air war. Mitglieder der Redaktion sollen gefesselt und als Geiseln genommen worden sein, sie alle sollen bedroht worden sein, sagt Karaş. "Es war die schlimmste Sendung in meinem Leben."

In den sozialen Netzwerken ist ihr Name da schon zum Hashtag geworden. Unter #TijenKaraş finden sich massenhaft Glückwünsche. Und immer wieder wird ein Satz geteilt: "Eine ganze Generation wird das Zittern deiner Stimme, dein Schlucken, deine Verzweiflung nicht vergessen."

Auf diese Weise wurde Tijen Karaş zu einer tragischen Figur des Putschversuchs, aber zu einer Person der türkischen Zeitgeschichte. Başak Şengül ebenfalls, die Moderatorin von CNN-Türk. Auch wenn ihr Fall etwas anders gelagert ist.

"Sagen wir es jetzt?"

Als Gesundsheitsminister Recep Akdağ gerade aus der Stadt Erzurum berichtet, wo 100 000 Menschen auf den Straßen seien, unterbricht er sich selbst: "Sie hören mich schon, oder?" Stille. "Hallo?", fragt Akdağ. Başak Şengül reagiert mit einem langen Äh. "Ich höre Sie, machen Sie weiter." Aber die Moderatorin weiß zu diesem Zeitpunkt bereits, dass Soldaten das Gebäude gestürmt haben. Akdağ redet für wenige Sekunden weiter, als erneut die Stimme von Şengül zu hören ist. Sie redet mit ihrer Redaktion. "Sagen wir es jetzt?" Ja. Sie unterbricht Akdağ schließlich.

Die Doğan Mediengruppe, zu der CNN-Türk gehört, ist eher regierungskritisch, und Şengül nach eigenen Angaben ein "Adrenalinjunkie". Sie hätte auch Zeitungsjournalistin werden können, aber die Schnelligkeit und Aufregung von Fernseh-Nachrichten hätten sie angezogen, erzählt sie in einem Interview, das der Sender über sie gedreht hat. Şengül hat an der Universität Istanbul Radio, Film und Fernsehen studiert und stieg bei CNN-Türk von der Praktikantin zur Nachrichtenredakteurin auf. "Dass jeder Mensch in seinem Haus einen Bildschirm hat, über den er meine Ergebnisse empfangen kann, hat mich fasziniert."

Wie überzeugt die 37-Jährige davon ist, wird in den nächsten Minuten deutlich. Was folgt, ist eine Live-Berichterstattung, die ihresgleichen sucht. "Im Garten ist ein Hubschrauber mit Soldaten gelandet", sagt Şengül in die Kamera. Soldaten seien nun ins Gebäude eingedrungen. Die unmittelbaren Eindrücke bindet sie mit den Worten ab: "Wir bemühen uns, sie objektiv zu informieren". Auch als die Kamera bereits auf Soldaten im Gebäude selbst schwenkt, spricht Şengül aus dem Off davon, "die Demokratie zu verteidigen". "Unser Ziel ist es, schnell und richtig über diese historischen Ereignisse zu informieren". Aber ob sie weitermachen könnten, wüssten sie nicht, so die Moderatorin: "Ich höre Leute auf das Studio zukommen".

Als Şengüls Worte verstummen, schwenkt die Kamera auf ein leeres Moderationspult. Ihre letzten Worte lauten: "Ich möchte das Studio nicht verlassen." Im Hintergrund sind Schreie zu hören, irgendwann formieren sich die Stimmen zu einem "Haut ab!". Şengül ist zu diesem Zeitpunkt in Sicherheit. Aber ihre Motivation, die Welt an dem Chaos im Sender teilhaben zu lassen, wird weiterwirken - und ebenfalls auf Twitter hochgelobt.

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