"Wir alle werden davon betroffen sein, aber was kommt, soll keiner wissen." Auf diese Formel bringen Stephan Stuchlik und Kim Otto ihre ARD-Reportage. Treffender hätten sie es nicht formulieren können.
Es geht um TTIP, das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, das frühestens 2015 in Kraft treten soll und zwei der weltweit größten Wirtschaftsräume zusammenbringen könnte. TTIP würde etwa 800 Millionen Bürger betreffen. Viele von ihnen, besonders in Deutschland und Österreich, hegen großes Misstrauen gegenüber den Verhandlungen hinter verschlossenen Türen. In die breite Öffentlichkeit ist das Thema noch nicht vorgedrungen. In "Der große Deal - Geheimakte Freihandelsabkommen" wollen die beiden Monitor-Journalisten aufzeigen, woran das liegt. Ihre Doku zeichnet ein düsteres Bild: Nicht einmal EU-Abgeordnete seien ausreichend über die Verhandlungen informiert.
Streit um Freihandelsabkommen:Was Europa über TTIP denkt
Zwischen Furcht und Hoffnung - vom Chlorhühnchen bis zum Absatz für Oliven: Wie denken die Bürger anderer Ländern des Kontinents über das Freihandelsabkommen mit den USA? Eine europäische Bestandsaufnahme.
Also wer verfolgt bei den TTIP-Verhandlungen welche Interessen? Um das herauszufinden, sprechen die Reporter mit Entscheidungsträgern in Berlin, Brüssel, Washington und Pittsburgh.
Expandieren nach Europa
Insgesamt gehe es um die Angleichung von Standards, und dieses Ziel verfolgen nicht nur US-Unternehmen, sondern auch europäische Firmen, wird in der halbstündigen Doku klar. Lobbyisten sprechen von einem "offenen Austausch" bei den Verhandlungen, und der Geschäftsführer einer privaten US-Klinik gesteht überraschend gesprächig: Aufgrund der Gesundheitsreform könne er in den USA nicht mehr genug verdienen und müsse nach Europa expandieren. Es sind die deutlichsten Worte im ganzen Film.
Ansonsten hören Otto und Stuchlik vage Andeutungen, vorsichtig formulierte Wünsche und Dementi. Haben die TTIP-Verhandlungsführer Angst vor einer kritischen Öffentlichkeit, fragen sich die Reporter. Auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel kann zur Aufklärung nicht beitragen. Zwar beharrt er auf seinem Standpunkt, TTIP könne das Grundgesetz und den deutschen Arbeitsschutz nicht aushebeln. Belege dafür will er jedoch nicht liefern. Die Papiere seien geheim, heißt es in einem Schreiben seiner Presseabteilung.
Warum aber die Geheimhaltung, wenn TTIP uns allen Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze bringen soll, wollen die Journalisten von EU-Handelskommissar Karel De Gucht wissen. Es folgt ein peinlicher Patzer: Angesprochen auf die 0,05 Prozent Wachstum im Jahr, die seine eigene Studie voraussagt, zögert de Gucht und bittet um Unterbrechung. "Ist das die Studie, die wir bestellt haben?" Kein Zweifel. Man solle lieber nicht mit Prozenten argumentieren, laviert sich De Gucht heraus und lässt den Zuschauer mit einem flauen Gefühl zurück. Kennt er die Zahlen nicht? Oder war er nur schlecht vorbereitet?
Angesichts der Tatsache, dass die breite Mehrheit noch wenig über TTIP und seine Folgen weiß, ist es ein hehres Anliegen von Otto und Stuchlik, das zu ändern. Wichtige Fragen zu TTIP kann die Reportage zwar nicht klären, weil die Gesprächspartner Antworten schuldig bleiben. Aber immerhin wirft sie diese Fragen auf: Was, wenn Deutschland in letzter Konsequenz tatsächlich seine Gesetze ändern muss, wie der im Film gezeigte Verfassungsjurist prophezeit? Was, wenn tatsächlich bislang verbotene, höchst gefährliche Inhaltsstoffe in Europa zugelassen werden? Was sind das für Verhandlungen, wenn selbst EU-Abgeordnete sie als "skandalös" bezeichnen? All diese Fragen können Angst machen, aber vielleicht sollten sie das auch. Immerhin könnte TTIP bald uns alle betreffen.
"Der große Deal - Geheimakte Freihandelsabkommen", Das Erste, 21.40 Uhr
HInweis der Redaktion: Am Dienstag nach Ausstrahlung der TV-Reportage hat die EU-Kommission die Darstellung in "Der große Deal" zurückgewiesen.
In der kommenden Woche veröffentlicht die Süddeutsche Zeitung einen TTIP-Themenschwerpunkt.