Süddeutsche Zeitung

True-Crime-Serie:"Gottlos" bei RTL 2: Die Welt ist nicht in Ordnung

"Gottlos" erzählt von normalen Menschen, die zu Mördern werden. Ist das die Alternative zum deutschen Krimi mit seinen Saubermann-Kommissaren?

TV-Kritik von David Denk

Klagen gehört zum Handwerk. Das deutsche Fernsehen könnte so viel besser sein, wenn die Bücher origineller, die Regisseure fähiger und die Redakteure am besten irgendwo ganz weit weg wären. Ach, und mehr Drehtage wären auch schön. Und müssen wirklich die immer gleichen Visagen in Krimis die immer gleichen Fragen stellen und im Dienstwagen durch die Gegend fahren? Egal, wen aus der Branche man fragt: Die Lage ist schlimm. Und schuld sind natürlich immer die anderen.

Auch Thomas Stiller hält nicht viel von den Angeboten, die er so bekommt, und spricht das auch aus. Dass es dadurch nicht unbedingt mehr werden, nimmt der Regisseur und Autor (Sie hat es verdient, Tatort: Frohe Ostern, Falke) billigend in Kauf. "Ich bin es so leid, Tatorte zu drehen", sagt der 54-Jährige. "Mit Krimis kannst du mich mittlerweile jagen." Er habe keine Lust mehr auf "Saubermann-Kommissare, die die Welt bis 21.45 Uhr wieder in Ordnung gebracht haben müssen".

Als Kontrastprogramm hat Stiller nun Gottlos geschrieben und inszeniert. Am Ende jeder der drei auf realen Ereignissen basierenden Episoden der RTL- 2-Serie ist die Welt alles außer in Ordnung. Denn ein Mensch ist tot, getötet von einem Angehörigen. Gottlos, eine Adaption des niederländischen Formats The Godless, hört, ähnlich wie schon die ZDF-Serie Verbrechen nach den Kurzgeschichten von Ferdinand von Schirach, da auf, wo der Tatort anfängt: mit der Tat, dem Verbrechen, das sich 45 Minuten lang anbahnt und sich in einem Bild (Kamera: Marc Liesendahl) schon zu Beginn schlaglichtartig ankündigt. Stiller beschreibt die Dynamik als "Spirale, die sich immer weiter hochschraubt, bis Menschen wie du und ich töten, die das vorher nicht für möglich gehalten hätten".

Erinnert an die Einspielfilme bei Aktenzeichen XY . . . ungelöst

Jeder kann zum Mörder werden - auf diese etwas banale Weisheit lässt sich Gottlos reduzieren. "Wir wollten die Mechanik der Täter-Opfer-Beziehung begreifbar machen", sagt Stiller, der auf Anhieb interessiert gewesen sei, als ihm Produzent Marc Conrad (Im Angesicht des Verbrechens) das Projekt angeboten habe.

Gottlos erinnert in gewisser Weise an die Einspielfilme bei Aktenzeichen XY . . . ungelöst, die den Zuschauer ja auch merkwürdig unbeteiligt lassen. Da in Gottlos von Anfang an klar ist, dass jemand sterben muss, und schnell klar wird, wer, kommt Spannung gar nicht erst auf. In der ersten Episode "Sex, Drugs & Rock 'n' Roll" macht sich der Motorradrocker Frank (Antonio Wannek), indem er seine Freundin Lisa (Sylta Fee Wegmann) tyrannisiert, so unbeliebt, dass man kein Mitleid mit seinem Schicksal hat. Man betrachtet diese betont nüchterne Versuchsanordnung und fragt sich, wen ein Format ansprechen soll, das sich jeglicher Suspense-Dramaturgie entzieht - erst recht beim Privatsender RTL 2, dessen Publikum stärkere Reize gewohnt ist.

Gottlos wurde damit beworben, dass Stiller völlig freie Hand bei Konzeption und Umsetzung gehabt habe. Die oft herbeigesehnte Freiheit der Kreativen allein, dafür ist die Serie der beste Beweis, garantiert aber noch kein besseres Fernsehen.

Gottlos, RTL 2, montags, 20.15 Uhr.

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SZ vom 15.02.2016/jobr
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