True Crime:Beruht auf einer wahren Geschichte

Lesezeit: 4 Min.

Der ungeklärte Mord an einer Schwester, die in den 1960ern an einer kirchlichen Schule unterrichtete, gibt Anstoß zu einer viel größeren Recherche. (Foto: Netflix)

Kaum ein Fernsehgenre ist so beliebt wie Dokumentar-Serien über reale Kriminalfälle. "The Keepers" über den Mord an einer Nonne zeigt aber auch die Grenzen dieser Erzählform.

Von Benedikt Frank

Eine einzelne Glühbirne am Giebel des Dachbodens wirft mehr Schatten, als dass sie für Erleuchtung sorgt. Gegen das Licht gefilmt ist nur die Silhouette des Reporters Tom Nugent inmitten von staubigen Kartons zu erkennen. Seinem Kameramann scheint es schwerzufallen, sich in dem engen Raum zu positionieren, den Fokus zu finden. Immerhin Nugent wird fündig. Eine längst vergilbte Ausgabe der Baltimore Sun, seine große Titelgeschichte, er nennt sie ein Monster, 6000 Worte lang. Der Überschrift genügen vier Worte, die dennoch fast eine halbe Seite füllen: Who killed Sister Cathy? - Wer hat Schwester Cathy ermordet?

Heute prangt die alte Frage nach dem Täter auch über einer kolorierten Fotografie der freundlich lächelnden katholischen Nonne im traditionellen Habit und wirbt für Netflix' neue Dokuserie The Keepers. Schwester Catherine Cesnik, Lehrerin an einer kirchlichen Mädchenschule im erzkatholischen Städtchen Baltimore an der Ostküste der USA, verschwand im November 1969. Ihre Leiche fand ein Polizist zwei Monate später auf einer Müllkippe im Umland.

Bis dahin ist die Geschichte nur tragisch und mysteriös. Mitte der 1990er-Jahre - der Zeit, aus der auch Nugents Zeitungsartikel stammt - wird sie zum Skandal: Ehemalige Schülerinnen erinnern sich, dass der Priester Joseph Maskell sie vergewaltigte, einschüchterte und sie unter anderem Polizisten zum sexuellen Missbrauch anbot. Schwester Cathy, heißt es nun, musste sterben, weil sich ihr Mädchen anvertrauten und die Taten öffentlich zu werden drohten.

Eigentlich ist das Crime-Genre eine Spielart des Reality-TV. Sein Ruf ist trotzdem hervorragend

True-Crime-Formate, die alte, reale Kriminalfälle spannender präsentieren als es jeder fiktionale Krimi tun könnte, zählen schon seit mehreren Jahren zu den beliebtesten und erfolgreichsten Produktionen, beim Publikum und bei den Jurys amerikanischer Fernsehpreise. Das Genre funktioniert sogar gedruckt als Magazin, wie bei Stern Crime, oder ohne Bilder - eine Mutter des Hypes ist die Podcast-Serie Serial.

True Crime hat auch im Fernsehen einen fantastischen Ruf, was erstaunlich ist, wenn man bedenkt, dass es sich dabei um einen Unterfall von Reality-TV handelt. Ein Genre, das beim Thema Kriminalität sonst wenig unversucht lässt, so unseriös wie nur möglich zu wirken, von absurd lächerlichen Gerichtsshows bis zur sensationsheischend aufgeputschten Begleitung der meist faden Streifengänge von bemüht witzigen Polizistenduos. Zu verdanken hat True Crime sein hervorragendes Image nicht nur dem Umstand, dass es einigen Autoren gelingt, in trockenen Prozessakten wendungsreiche Geschichten zu finden und sie in einer Qualität wiederzugeben, die keine der verwandten Billigproduktionen erreicht. Im Idealfall kann eine gut erzählte Enthüllung sogar fundamentales Unrecht korrigieren.

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Der unter anderem mit zwei Emmys prämierte König des Genres ist dank eines einmaligen Glücksfalls die HBO-Serie The Jinx. Zufällig zeichneten die Macher ein Mordgeständnis ihres prominenten Protagonisten auf, dem exzentrischen Millionär Robert Durst, der kurz vor Ausstrahlung der letzten Folge verhaftet wurde. Auch Netflix konnte schon einen Scoop präsentieren, der ein Jahr nach The Jinx gleich vier Emmys gewann und das Gegenteil zur Folge hatte: Weil Making a Murderer Zweifel an seinem Geständnis aufbrachte, darf ein wegen Mordes verurteilter Sonderschüler aus Wisconsin auf Revision hoffen. Die Erwartungen an die aufklärerische Kraft von Netflix' neuem True-Crime-Projekt sind dementsprechend hoch.

Ihre Absicht, Staub aufzuwirbeln, erklären die Macher mit der Eingangsszene nicht allzu subtil. Zögerlicher verraten sie, was zu Anfang allenfalls angedeutet ist: Auch sie können im Fall um Schwester Cathy kaum klar sehen. Scharf zeichnen sie zunächst nur die Bühne des Geschehens, Baltimore als eine naiv gläubige Gemeinschaft, in der ein Priester absolutistische Autorität innehat, an der zu zweifeln kaum denkbar ist. Eine Gemeinschaft, in der die Kirche die Täter aus ihrer Mitte schützt, ganz ähnlich wie bei dem anderen Missbrauchsskandal, von dem im vorletzten Jahr der Kinofilm Spotlight erzählte.

The Keepers stützt sich auf die Recherchen zweier ehemaliger Schülerinnen, die selbst nicht Opfer wurden, aber besessen sind von der Aufklärung des Mords an ihrer ehemaligen Lehrerin. Über eine Art Selbsthilfegruppe auf Facebook tauschen sie sich mit interessierten Bürgern, Opfern Maskells und möglichen Zeugen aus, sie graben in Archiven und gehen kleinsten Hinweisen nach. Die Serie verdichtet alte Berichte mit neuen Interviews zu einer Geschichte, die ihren Vorgängern in Spannung in nichts nachsteht. Doch immer, wenn ein Täter greifbar scheint, streut die Serie neue Zweifel, zeigt Ungereimtheiten auf und lässt schließlich ihr Publikum recht hilflos mit vielen Fragen zurück.

Braucht es wirklich diese Musik, die zwischen Tragödie und Horrorfilm schwankt?

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Die offizielle, gerichtsfeste Version der Morde anzuzweifeln, ist auch die Methode von The Jinx und Making a Murderer. Doch bieten diese Serien noch so etwas ähnliches wie ein Happy End: die Hoffnung, dass dank der Doku die Gerechtigkeit doch noch siegen könnte. So ein Ergebnis verzeiht viele Mittel, die nun auch The Keepers nutzt, die man aber hinterfragen kann. Muss man wirklich zeigen, wie ein Missbrauchsopfer während der Schilderung der fast 50 Jahre zurückliegenden Taten in Tränen ausbricht? Braucht es Musik, deren Leitmotiv stimmungsmäßig zwischen Tragödie und Horrorfilm schwankt? Oder nachgestellte Schwarz-Weiß-Szenen mit Mädchen in Schuluniform, auf die hinter langsam ins Schloss fallenden Türen bedrohliche Schatten warten? Diese erinnert mehr an die ungeliebten Verwandten des reißerischen Reality-TV als an die Wunschgeschwister, die Enthüllungsreportagen.

Andererseits: Keine der Frauen wirkt, als wolle sie ihre Geschichte nicht endlich der Welt erzählen. Und die neue Aufmerksamkeit bringt zumindest Bewegung in den ungeklärten Fall der Schwester Cathy: Im Februar wurde der 2001 gestorbene Joseph Maskell für einen DNA-Abgleich mit Proben vom Tatort exhumiert: keine Übereinstimmung. Zeuge eines in erster Linie aufklärerischen Projekts wird der Zuschauer aber nicht. Vielleicht ist gerade die Verweigerung dieser Entschuldigung der eigentliche Coup von The Keepers. Die Serie zwingt den Zuschauer, sich die voyeuristische Angstlust einzugestehen, mit der ihn solche Formate immer wieder fesseln.

The Keepers , auf Netflix.

© SZ vom 19.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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