TRT Deutsch:Erdoğans Megafon

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Muslime hätten mit Ausgrenzung und Vorurteilen zu kämpfen, heißt es in einem Video von TRT Deutsch, das auf Youtube zu finden ist. (Foto: Ramazan Aktaş/TRT Deutsch/YouTube)

Seit einem Jahr betreibt der türkische Staatssender TRT ein deutsches Nachrichtenportal. Ist das noch Journalismus oder schon Propaganda?

Von Simon Groß

Vergleiche mit Opfern des Nationalsozialismus sind unangemessen, dennoch waren sie sogar aus dem Haus der Bundespressekonferenz in Berlin zu hören. Dort hat im Januar 2020 die Redaktion von TRT Deutsch ihr Büro bezogen - der deutsche Ableger des türkischen Staatssenders.

In einem Onlinebeitrag verglich das Nachrichtenportal die aktuelle Situation von Muslimen in Europa mit denen der Juden während des Nationalsozialismus in Deutschland. Wie früher Juden hätten europäische Muslime heute mit Ausgrenzung und Vorurteilen zu kämpfen, heißt es in dem auch auf Youtube abrufbaren Video. Dazu ist eine Schwarz-Weiß-Aufnahme zu sehen, die ein Schaufenster zeigt, das mit dem Schriftzug "Jude" und dem Davidstern beschmiert ist. Die Kommentarspalte auf Facebook explodiert: mit Bildern von Merkel als Nazi, Macron als Hund und wüsten Beleidigungen. Insgesamt sind es rund 2500 Kommentare, fast 1500-mal wird der Beitrag geteilt - das Video polarisiert. Offensichtlich wissen die Macher, wie man hierzulande Aufmerksamkeit erzeugt.

Es gehe darum, eine Gegenwirklichkeit aufzubauen

Seit gut einem Jahr produziert das Nachrichtenportal TRT Deutsch eigene Kurznachrichtenfilme und Artikel, die auf ihrer Webseite und in den sozialen Medien ausgespielt werden. Anders als in der Türkei laufen die Beiträge nicht im Fernsehen, dort ist TRT so etwas wie die ARD, ein öffentlich-rechtlicher Sender mit verschiedenen Programmen. Bereits in den vergangenen Jahren veröffentlichte TRT auch deutschsprachige Artikel online. Doch mit der Gründung der Berliner Redaktion ist der türkische Sender nun deutlich präsenter geworden und hat sich einen professionelleren Anstrich gegeben. TRT Deutsch unterhält mittlerweile gut besuchte Kanäle auf Facebook, Instagram, Youtube und Twitter, zusammengenommen sind es mehr als 160 000 Abonnements. Wen möchte das türkische Nachrichtenportal mit seiner Berichterstattung erreichen? Und was wird da eigentlich verbreitet?

Kaan Elbir, Chefredakteur von TRT Deutsch. (Foto: Kaan Elbir/youtube)

TRT Deutsch soll den Bedarf an deutschsprachigen Nachrichten für Türkischstämmige in Ländern wie Deutschland, Österreich oder der Schweiz decken, schreibt Chefredakteur Kaan Elbir auf Anfrage. Aber man habe auch andere Minderheiten und die deutsche Mehrheitsgesellschaft im Blick. Die Redaktion beschäftige sich schließlich neben den Kernthemen Rechtsextremismus und Islamfeindlichkeit mit vielen anderen Bereichen, die nicht nur Türkischstämmige interessieren, so Elbir. Auf der Webseite wird deutlich: Es sind hauptsächlich Nachrichten und Meinungsbeiträge zur deutschen und internationalen Politik und zur Wirtschaft. Die türkische Innenpolitik zählt jedoch nicht dazu: Weder die Inhaftierung von Oppositionspolitikern noch die Währungskrise der Türkei sind Thema bei TRT Deutsch.

Außenpolitische Ereignisse und Konflikte, in die die Türkei involviert ist, dagegen schon. So zum Beispiel der Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien um die Region Bergkarabach, in dem die Türkei auf der Seite der aserbaidschanischen Regierung stand. Das enge Verhältnis zum turksprachigen Nachbarland spiegelte sich in der Berichterstattung von TRT Deutsch wider, die überwiegend die aserbaidschanische Perspektive wiedergab, auf Kosten der journalistischen Unabhängigkeit.

"Wettbewerb um die Herzen der Deutschtürken"

Als TRT Deutsch im Januar startete, wurden von anderen Medien schnell Parallelen zum deutschen Ableger des russischen Staatssenders Russia Today (RT) gezogen. Nicht so sehr wegen der Inhalte, bei denen Russia Today eher auf Themen der Rechten setzt und so das AfD-nahe Digitalmilieu erreicht. Wohl aber vermuteten Kritiker auch beim türkischen Medium eine wenn auch anders geartete vorgegebene politische Agenda.

Diese Vermutung sieht Yunus Ulusoy, der am Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung an der Universität Duisburg-Essen forscht, fast ein Jahr nach Gründung von TRT Deutsch bestätigt. "Wenn ich mir die Auswahl der Nachrichten anschaue, dann geht es darum, eine Gegenwirklichkeit aufzubauen, einen Spiegel zu installieren, der das zeigt, was die Verantwortlichen sehen wollen."

Yunus Ulusoy arbeitet für die Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung. (Foto: Universität Duisburg-Essen)

Dass die Türkei dem Vorbild Russlands nacheifert und versucht, international die Deutungshoheit zu gewinnen, das sieht auch Steven Stalinsky so. Der Nahost-Medienbeobachter warnte Ende vergangenen Jahres in der Washington Post amerikanische Wissenschaftler davor, im internationalen Kanal des türkischen Senders TRT World aufzutreten und damit "Erdoğans Megafon" zu unterstützen. Stalinsky kritisierte TRT World für die Nähe zur türkischen Regierung. Als Beispiel führte er eine von Enthusiasmus und Patriotismus getränkte Berichterstattung zur türkischen Militäroffensive in Nordsyrien vergangenen Herbst an. Zur gleichen Zeit wurden Kritiker in der Türkei mundtot gemacht. Stalinskys Fazit: Die türkische Regierung nutze die Pressefreiheit im Ausland aus, während sie sie im eigenen Land brutal unterdrücke. In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht die Türkei aktuell auf Platz 154 von 180, einen Platz hinter Belarus und einen vor Ruanda.

In der Berliner TRT-Redaktion hat man da eine ganz andere Auffassung: Chefredakteur Elbir bestreitet, einseitig zu berichten, auch den Vergleich mit Russia Today hält er für ungerechtfertigt. "Wir wollen informieren, aufklären und aufdecken", so Elbir, der zuvor für die Daily Sabah arbeitete - die internationale Ausgabe einer bekannten regierungsnahen türkischen Zeitung. Aus seiner Sicht klingt alles nach einem großen Missverständnis. Polarisierung? Im Gegenteil, man versuche auf die Probleme aufmerksam zu machen, die der Polarisierung zugrunde lägen. Der Vergleich mit dem Schicksal deutscher Juden? Es sei um die Mechanismen hinter der Ausgrenzung gesellschaftlicher Gruppen gegangen, der Beitrag sollte als Warnung verstanden werden, "wohin das alles führen kann", schreibt Elbir.

Migrationsforscher Ulusoy hält den türkischen Staatssender dagegen für ein politisches Instrument - eines von vielen. Neben TRT gibt es in der Türkei auch regierungsnahe Privatsender und jede Menge Zeitungen, die auf Erdoğans Linie sind. Doch anders als noch vor ein paar Jahren erreichen die kaum noch die jüngere Generation. Schon gar nicht hierzulande, denn viele Deutschtürken sprechen nicht mehr gut genug Türkisch, um den Nachrichten aus der alten Heimat folgen zu können. In diese Lücke versucht also TRT zu stoßen - digital und auf Deutsch.

Bei jungen Erdoğan-Anhängern in Deutschland kamen bislang vor allem Beiträge von Bloggern, Youtubern oder Influencern an - die längst nicht unabhängig waren, wie Recherchen von BR und Correctiv zeigten. Beiträge von TRT Deutsch könnten künftig genau dieses Publikum erreichen.

Der Migrationsforscher Ulusoy rät aber dazu, den Einfluss von TRT Deutsch auf die politische Haltung von Deutschtürken nicht zu überschätzen. Erdoğans Beliebtheit hierzulande habe vor allem damit zu tun, dass er Deutschtürken das Gefühl gebe, zu ihm und seinem Land zu gehören, bedingungslos. Dagegen stießen Türkeistämmige in Deutschland - auch die hier geborenen - immer wieder auf Ablehnung wegen ihrer Sprache, Religion oder fremdländischem Aussehen, ist Ulusoy überzeugt. "Das ist ein Wettbewerb um die Herzen der Deutschtürken. Und in diesem Wettbewerb liegt die Türkei vorne." Mit oder ohne TRT Deutsch.

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