Transgender-Doku "I Am Cait" mit Caitlyn Jenner:Bruce ist auch noch da

Caitlyn Jenner, "I Am Cait"

Auch I Am Cait kommt nicht ganz ohne Inszenierung aus.

(Foto: E! Entertainment)

Wie passt das Kardashian-Prinzip zu einer ernst gemeinten Reality-Doku über Caitlyn Jenner und ihre Transsexualität? Erstaunlich gut.

Von Johanna Bruckner

Caitlyn Jenner hat pinkfarbene und blaue Lockenwickler im Haar, an ihrem Hinterkopf dreht eine Assistentin eine Strähne auf. Gerade ist die Zeitschrift Vanity Fair erschienen, auf dem Cover: Caitlyn Jenner in einem weißen, eng anliegenden Kleid. Es ist das erste Mal, dass sich Bruce Jenner der Öffentlichkeit als Frau präsentiert. Das goldfarbene Handy in Caitlyns Schoß klingelt ununterbrochen, plötzlich ist Stieftochter Kim Kardashian zu hören. "Du hast mir gar nicht gesagt, dass du auf Twitter bist!", ruft die Frau, die selbst 32 Millionen Follower hat.

Kim sagt, dass Caitlyn wohl einen neuen Twitter-Follower-Rekord innerhalb der ersten fünf Stunden aufstellen werde. "Ich liebe Rekorde", entgegnet Caitlyn, die als Bruce Jenner, also als Mann, 1976 bei den Olympischen Spielen in Montreal die Goldmedaille im Zehnkampf gewann. Dann geht das Telefonat zu Ende: "Alle Augen sind jetzt auf dich gerichtet", sagt Kim, "du darfst nicht enttäuschen."

Sie weiß, wovon sie redet. Die 34-Jährige ist ein Selbstvermarktungsprofi, ihr Mann Kanye West würde vermutlich sogar sagen: "Genie". Kim Kardashian hat, um im Bild zu bleiben, ein eigenes und sehr lukratives Sonnensystem erschaffen, in dessen Zentrum die TV-Show Keeping Up With the Kardashians steht. Zehn Staffeln gibt es mittlerweile, außerdem liefen zwischenzeitlich diverse Spin-offs. Auch Bruce Jenner war fester Part der Reality-Sendung: als zweiter Mann von Kims Mutter Kris, Stiefvater von Kourtney, Kim, Khloé und Rob und Vater von Kendall und Kylie.

Zufall ist sehr wenig in der Familie Kardashian/Jenner

Die Logik der medialen Inszenierung hat auch Caitlyn Jenner verinnerlicht. Ihre Transsexualität machte sie in zwei Spezialsendungen von Keeping Up With the Kardashians publik. Auch in ihrem neuen Leben als Frau begleiten sie Kameras: I Am Cait heißt ihre eigene Reality-Doku mit vorerst acht Folgen. Die Auftaktsendung läuft an diesem Sonntag im deutschen Pay-TV.

Da kommen auch Kim und Ehemann Kanye zu Besuch. Während sie darüber spricht, wie "skinny" ihre nun Stiefmutter sei, sagt der Rap-Superstar: Welche Herausforderung Transsexualität in einer Welt sei, in der die Menschen von der eigenen Wahrnehmung kontrolliert würden - zumal wenn man so berühmt sei wie Caitlyn. Es ist einer der Momente, in denen I Am Cait eine Tiefe bekommt, die überrascht. Denn das Kardashian-Konzept ist eigentlich eine gänzlich unironische Oberflächlichkeit

I Am Cait besticht durch etwas, das den meisten aktuellen Reality-TV-Formaten fehlt, umso mehr denen der Kardashians: Authentizität. Immer wieder gibt es Szenen, die berühren - und über die wohl unvermeidlichen Haarverlängerungs-Sitzungen, Kleiderschrankbegehungen und gestellten Umarmungen hinwegsehen lassen.

Die Tochter sagt zum Abschied: "Bye, daddy"

Etwa diese: Da sitzt Caitlyns Mutter Esther auf dem Sofa der Villa, die mehr wie eine Kulisse als wie ein Zuhause wirkt, und knetet ihre Hände. "Du hast es gut versteckt", sagt die Mutter zu ihrem 65-jährigen Sohn, der jetzt eine Tochter sein will. Sein muss, endlich. "Ich war Profi darin, es zu verbergen", sagt Caitlyn. Ein anderes Mal steht Mutter Esther am Küchenfenster, mit dem Rücken zur Kamera. "Es ist einfach viel, an das man sich gewöhnen muss", sagt sie und nestelt mit einem Taschentuch. "Aber ich werde es schaffen."

Aber bei aller Solidarität, die die Familienmitglieder Caitlyn versichern - Bruce ist eben auch noch da. Am Handy via Videotelefonie sieht Tochter Kylie ihren Vater zum ersten als Frau. "Ich will dich nicht erschrecken", sagt Caitlyn. "Du siehst hübsch aus", antwortet die Tochter, und sagt dann zum Abschied: "Bye, daddy."

Caitlyn Jenner, die Fernsehpersönlichkeit, ist sicher nicht repräsentativ für die allermeisten transsexuellen Menschen. Aber ihre Geschichte könnte es sein, ihre Probleme sind es - das ist Idee und Stärke von I Am Cait. Wie reagiert die Familie? Wie die Kumpels von früher? Aber auch: Was bedeutet es, plötzlich mit Brüsten Sport zu treiben? Da ist es wieder, das Kardashian-typische Banale.

"Wir wollen nicht, dass Leute deswegen sterben"

Caitlyn hat sich vorgenommen, so sagt sie, ihre Popularität zu nutzen, um aufzuklären, Vorurteile abzubauen, anderen Transgender-Menschen zu helfen. In der allerersten Szene liegt Caitlyn mit Bademantel im Bett, filmt sich offenbar selbst. "Wir wollen nicht, dass Leute deswegen sterben", sagt sie, "wir wollen nicht, dass Menschen wegen dieser Sache umgebracht werden." Die Suizid-Rate unter Transgendern sei neun Mal höher als in der Allgemeinbevölkerung, und auch die Mordrate sei höher.

"Welche Verantwortung habe ich dieser Gruppe gegenüber?", fragt Caitlyn in die Kamera. "Werde ich alles richtig machen? Werde ich die richtigen Sachen sagen? Gebe ich das richtige Bild wider? Ich hoffe nur, ich kriege es richtig hin."

I Am Cait, sonntags, 22.20 Uhr, E! Entertainment

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: