Früher, sagt Askan Siegfried, habe man besser verstanden, was im Fernsehen geredet wurde. Er muss es wissen. Seit 30 Jahren arbeitet er als Tonmeister beim NDR und hat vor vier Jahren die "Zehn goldenen Regeln für Sprachverständlichkeit im Fernsehen" für Schulungen und Vorträge entwickelt. Die wurden später in den gemeinsamen Empfehlungen der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender zusammengefasst. Es geht darin um Dinge wie die Wahl von Drehorten, um klare Aussprache der Menschen vor der Kamera, um technische Feinheiten und die Notwendigkeit von Tonproben. Denn immer häufiger hatten gerade ältere Zuschauer Probleme, das gesprochene Wort aus dem Fernseher zu verstehen - ein Problem, das bis heute nicht aus der Welt geschafft ist.
"Die Beschwerden über die Sprachverständlichkeit waren konstant hoch, darum haben wir den Leitfaden angefertigt", sagt Siegfried. "Leider hat er sich wohl nicht überall herumgesprochen." Inzwischen kämpft Siegfried beim NDR für bessere Fernsehverständlichkeit. Seit drei Jahrzehnten stellt er die negative Entwicklung fest. "Aber so wie damals würde heute keiner mehr Filme machen, und solche Filme würde auch keiner mehr sehen wollen." Als Beispiele für bedächtigen Bildschnitt und sehr deutliche Dialoge nennt er frühe Folgen von Der Alte und Derrick.
Dass früher im Film viel deutlicher gesprochen wurde, erklärt Elisabeth Bodenseh, Toningenieurin beim SWR, mit den technischen Voraussetzungen damals. "Als es Ende der Zwanzigerjahre zum ersten Mal Filme mit Ton gab, mussten die Schauspieler fast überartikuliert sprechen, weil die Mikrofone nicht so empfindlich waren", sagt sie. "Hätte damals ein Schauspieler undeutlich gesprochen, hätte man überhaupt nichts verstanden."
Schauspieler werden gedrängt, sich undeutlicher zu artikulieren - weil das glaubhafter wirke
Elisabeth Bodenseh hat 2014 ihre Diplomarbeit über Sprachverständlichkeit im Fernsehen geschrieben und dafür mit verschiedenen Sendern zusammengearbeitet, darunter der NDR und das ZDF. Mehr als 200 Beschwerden aus dem Zeitraum zwischen Dezember 2011 und Mitte November 2013 hat sie ausgewertet. Ihr Fazit: In fast 60 Prozent aller Beschwerden zum Thema im Fernsehen ging es um zu laute Hintergrundmusik während Gesprächen, der Großteil bezog sich auf Spielfilme und Dokumentationen. "Aber auch Berichte und Reportagen werden heute durch Effekte oder zusätzliche Geräusche 'aufgepeppt'", sagt Bodenseh. "Dabei wird vergessen, dass es vor allem um das Verstehen des Inhalts geht."
Dafür, dass seine Regeln von damals teilweise nicht umgesetzt werden, hat Siegfried zwei Erklärungen: die veränderte Stilistik von Filmemachern und das Budget. ",Du bist hier nicht beim Theater', sagen Regisseure gern zu den Schauspielern und fordern sogar eine weniger deutliche Aussprache", sagt Siegfried und datiert diese Entwicklung mit dem Aufkommen des Autorenfilms in den Siebzigern. Auch das Nuscheln von Schauspielern werde von Regisseuren und Redakteuren toleriert. "Til Schweiger können Sie nicht sagen: Hör mal auf zu nuscheln." Für Elisabeth Bodenseh ist das undeutliche Sprechen ebenfalls eine "Modeerscheinung", vor allem in Sonntagabend-Krimis. Immer öfter würden "Darsteller in Fernsehfilmen gedrängt, mehr Realität in ihrem Spiel zu zeigen, die sich nach Ansicht der Regisseure an einer eher undeutlichen Artikulation festmachen lässt."
Daneben spielt das Geld eine Rolle. "Dass Dialoge nachsynchronisiert werden, wird kaum noch gemacht, weil es teuer ist", sagt Siegfried. Früher sei häufig in Kulissen gedreht worden, heute werde nicht nur für mehr Authentizität, sondern auch aus Kostengründen an einer Straße gedreht, wo tatsächlich Autos fahren, und die bedeuten Störgeräusche. Als Gegenbeispiel nennt er die Lindenstraße. "Die wird bis heute in der gebauten Kulisse in Köln gedreht", sagt Siegfried. "Wenn der Tonmann ruft 'Bitte Ruhe!', dann ist wirklich Ruhe."
ARD-Film "Kruso":Ein Fleckchen Freiheit
Das Drama "Kruso" erzählt nach der Romanvorlage von Lutz Seiler vom letzten Sommer vor der Wende auf Hiddensee. Das tut es gleichermaßen bedrückend und befreiend.
Hohe Sprachverständlichkeit sei bereits in den Technischen Richtlinien festgehalten, die Teil jedes Produktionsvertrages sind, sagt Askan Siegfried. "Auffallend schlechte Produktionen werden nicht angenommen." Allerdings sei Sprachverständlichkeit bislang nicht objektiv messbar. Beim NDR habe er deshalb in allen Tonmischregien Wohnzimmerfernseher installiert, "damit man den Ton so hören kann wie die Zuschauer zu Hause statt nur mit den guten Studiolautsprechern". Vielleicht löst sich das Messbarkeitsproblem in nächster Zeit aber auch anders: Am Fraunhofer Institut Oldenburg arbeiten Wissenschaftler gerade an einem Tool, das Sprachverständlichkeit messbar machen soll.
Im Moment sei die Herausforderung, alle Zuschauer zu erreichen: "Menschen mit altersbedingter Hörminderung oder mit einer Hörbehinderung, 80-Jährige und 40-Jährige - das geht kaum mit einem Audioformat", sagt Siegfried. Aber mit inhaltlicher Programmvielfalt, wie es Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sender ist. Derzeit sind die Ausspielwege für Bild und Ton begrenzt, in Zukunft könnte das durch das Internet vielfältiger werden. "Man könnte theoretisch eine Tonmischung ohne Musik und Hintergrundgeräusche über das Internet anbieten", sagt Siegfried. "Aber wenn man bedenkt, wie viele Zuschauer anrufen und schon mit der Mediathek im Internet nicht klarkommen, wird es noch sehr lange dauern, bis das alltagstauglich ist."
In Zukunft wird man mit den Möglichkeiten der Technik die Sprachverständlichkeit, etwa Lautstärke von Dialogen und Hintergrundmusik einzeln justieren können: Für den sogenannten ISO-Standard "MPEG-H Audio", der am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS entwickelt wurde, fehlen im Moment noch die Infrastruktur, sowohl die Distributionswege als auch neue Gerätegenerationen.
Und was ist mit der naheliegenden Lösung: Hintergrundgeräusche leiser, Dialoge lauter? Elisabeth Bodehseh sagt, einfach die Sprache im Gegensatz zu Geräuschen hervorzuheben sei nicht die Lösung. "Ein Zuschauer über 60 Jahre, der altersbedingt nicht mehr ganz so gut hört, würde das sicherlich begrüßen, ein Mitte-20-Jähriger fände das langweilig." Allerdings ist sie überzeugt, dass man viel erreichen kann, indem man die Hintergrundgeräusche minimal absenkt: "Ohne dass der Spaß am Fernsehschauen gestört wird und dafür die älteren Zuschauer einen großen Nutzen davon haben." Geräusche, Effekte oder Musik müssten sorgfältiger ausgewählt und platziert sein. "Das bedeutet mehr Zeitaufwand, den man heute für den Ton nicht mehr hat", sagt Bodenseh. Und den steckt man derzeit erst mal ins bestmögliche Bild.