Eigentlich ist Koh Lanta eine jener Inseln, die die Tourismusindustrie als beschaulichen Erholungsort für gestresste Europäer im Angebot hat. In Frankreich ist der Name jetzt wegen einer Tragödie in den Schlagzeilen, die das Privatfernsehen in eine tiefe moralische Krise stürzt, dabei ist noch längst nicht geklärt, wer Schuld hat.
Am 22. März starb der 25 Jahre alte TV-Kandidat Gérard Babin in Kambodscha bei Dreharbeiten zu einer Reality-Show, die nach der thailändischen Insel benannt ist: Koh Lanta, eine Art Dschungelcamp, läuft seit zwölf Jahren bei TF1, dem größten Privatsender Frankreichs. Kandidaten treten dort beim Überlebenstraining gegeneinander an. Wurden dabei die Grenzen überschritten?
Babin erlitt am ersten Drehtag der 16. Staffel einen Herzstillstand. Eine Untersuchung wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung läuft, sie soll den Tod beim TV aufklären. Der Anwalt seiner Familie erklärte, Babin könnte heute noch leben und spekulierte in der Boulevardzeitung Le Parisien über Hygiene- und Sicherheitsvorkehrungen beim Dreh.
Inzwischen ist das Drama um die Show noch fürchterlicher geworden. Am Montag wurde bekannt, dass sich der 38-jährige Arzt des Fernsehteams in Kambodscha das Leben genommen hat. Der Notfallmediziner Thierry Costa hinterließ einen Abschiedsbrief, den französische Medien veröffentlichten - auf Wunsch des Arztes und mit Einverständnis seiner Familie, wie sie erklärten.
In mit der Hand auf Hotelbriefpapier geschriebenen Sätzen erklärt Costa, er fühle sich von den Medien "beschmutzt". Ein Sprecher der Produktionsfirma Adventure Line sagte dem Parisien, Costa habe es nicht ausgehalten, dass sich die Medien nach dem Tod von Babin auf ihn eingeschossen hätten, weil er den jungen Mann nicht retten konnte. Thierry Costa hatte zuletzt das Gefühl, so schreibt er in seinem Abschiedsbrief, sein Ruf sei vollkommen zerstört, ihm bleibe keine Wahl. Er erklärt auch noch einmal, Gérard Babin richtig versorgt zu haben, mit der Hilfe von "echten Profis" im Team. Er wolle in Kambodscha eingeäschert werden und niemals nach Frankreich überführt werden.
Schock für das Reality-Fernsehen
Der Fall Koh Lanta ist ein Schock nicht nur für jenes sogenannte Reality-Fernsehen, das doch hauptsächlich raffiniertes Zirkusspektakel nach Drehplan ist. Franck Firmin-Guion, der Chef der Produktionsfirma Adventure Line, machte in den Hauptnachrichten von TF1 Boulevard- und Internetmagazine für den Tod Thierry Costas mitverantwortlich: Sie hätten anonyme Zeugenaussagen veröffentlicht, die seine Rolle infrage stellten. Die Webseiten Closer und Arrêt sur Images wiesen die Vorwürfe zurück. Arrêt sur Image erklärte, man fühle mit den Angehörigen der Toten und verlangte, die TF1 und Adventure Line sollten die Unterlagen vom Dreh am Unglückstag herausgeben.
Auch die staatliche Fernsehaufsicht CSA ist mittlerweile mit dem Fall befasst. Sie prüft, Realityshows im französischen Fernsehen künftig für Kinder unter zwölf Jahren zu verbieten.
Anmerkung der Redaktion: Wir haben uns entschieden, in der Regel nicht über Selbstmorde zu berichten, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Die Berichterstattung in diesem Fall gestalten wir deshalb bewusst zurückhaltend, wir verzichten weitgehend auf Details. Der Grund für unsere Zurückhaltung ist die hohe Nachahmerquote nach jeder Berichterstattung über Suizide.
Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.