Sexualratgeber auf Tiktok:Hier steppt der Erklärbär

screenshots: MDR/tiktok; collage: SZ

Philipp und Vicky stehen für "@wahrscheinlichpeinlich" vor der Kamera und erklären, wie man sich richtig rasiert oder ob das erste Mal wehtut.

(Foto: Screenshots: MDR/tiktok; ollage: SZ)

Mit einem Aufklärungsformat versucht sich der MDR seit einer Woche auf Tiktok - und mal wieder zeigt sich: besser zu spät erscheinen als gar nicht.

Von Lena Reuters

In einer Minute auf den Punkt kommen. Dabei unterhalten, informieren und Pubertierende so ansprechen, dass sie sich ernst genommen fühlen. Das ist die Herausforderung, die sich der MDR mit dem, wie es heißt, "ersten öffentlich-rechtlichen Aufklärungsformat" auf Tiktok stellt. Der Kanal @wahrscheinlichpeinlich soll 13- bis 15-Jährigen Liebe, Sex und den eigenen Körper näherbringen. So neu ist die Idee nicht, und mit Blick auf vergleichbare Kanäle zeigt sich hier: Potenzial ist da, man wird aber auch das Gefühl nicht los, dass noch mehr drin ist.

In dem Video mit den meisten Views und Likes beantwortet Host Vicky die Frage, wann ein Mensch seine erste Periode bekommt. Dazu zählt sie Anzeichen auf, ungefähr so: Bei dir wächst gerade vieles, von der Hüfte bis zu den Schamhaaren, du hast Weißfluss? Dann kann es nicht mehr so lange dauern. In den Kommentaren melden sich darauf Jugendliche zu Wort. Von Angst ist zu lesen, neben Erfahrungen und Tipps, wie man sich am besten auf die erste Periode vorbereitet. Eine Community, die sich in dieser Weise über intime und tabuisierte Themen austauscht, ist die beste Bestätigung, die man sich als Redaktion wünschen kann. So funktioniert es aber nicht bei allen Videos gleichermaßen.

Wenn öffentlich-rechtliche Sender Plattformen wie Instagram und Tiktok bespielen, ist es leicht, Kritik abzuladen. Das liegt schon am Aufwand und der Anstrengung, die oft hinter den Videos stehen und die diese Videos dann steif oder überambitioniert wirken lassen können. Was Jugendliche in ein paar Minuten auf dem Weg zum Bus oder im Kinderzimmer drehen, wird auf einmal von Sendern groß im Studio ausgeleuchtet. Videos werden nicht spontan ins Handy gequatscht, sondern präzise getextet. Das kann bei Formaten wie @tagesschau funktionieren, bei solchen wie @wahrscheinlichpeinlich, die intime Themen aufgreifen, kann das aber unpersönlich und Erklärbär-mäßig rüberkommen.

Zwei Tiktok-Kanäle, die anders aufklären, bestätigen den Eindruck. Im September 2020 brachte der rbb den @safespace.offiziell an den Start. Die Videos sind weniger professionell produziert, aber nahbar. Uneitel und ehrlich erzählen fünf junge Frauen, im Bad oder der Küche sitzend, von eigenen Unsicherheiten, was Haarwuchs, Periode oder Schweiß angeht. Auch @doktorsex, mit fast 800 000 Followern das reichweitenstärkste deutsche Tiktok-Aufklärungsformat, wirkt unbefangener. Gynäkologin Dr. Sheila de Liz und Urologe Volker Wittkamp erklären fachkundig, unterhaltsam und teilweise fast derb wirklich alles, was Jugendliche an ihren Fachgebieten interessiert. Mit Vagina-Kissen und Kondomen in der Hand oder einem Tampon in der Nase demonstrieren sie: Peinlich ist hier nichts. Was nervt, ist nur die Werbeeinblendung für eine Krankenkasse in den Videos.

Der MDR baut sein Angebot für die junge Zielgruppe aus. Mit dem Reportageformat exactly auf Youtube und eben @wahrscheinlichpeinlich will er auf der großen Spielwiese im Netz dabei sein, wo Formate wie Strg_F, dem Y-Kollektiv oder Puls Reportage teils schon Jahre unterwegs sind. Und er schickt dabei die als Produzenten vor, die es am ehesten wissen müssen: seine Volontärinnen und Volontäre.

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