Hörspiel "Tier-Therapie":Schnabel zu

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(Foto: Stefan Dimitrov (Illustration))

Patricia Görgs Hörspiel "Tier-Therapie": Wer träumt nicht davon, fliegen zu können? Ein Leben als Vogel kann jedoch extrem trist sein.

Von Stefan Fischer

Eine Therapeutin alleine kann dieser Klientin nicht helfen in Patricia Görgs Hörspiel Tier-Therapie. Denn die Analytikerin kennt sich zwar gut aus mit der Psyche von Menschen. Aber nicht mit der von Vögeln. Und schon gar nicht mit der von Schuhschnäbeln. Das ist eine afrikanische Vogelart, die man früher einmal den Storchenartigen zugerechnet hat, inzwischen aber den Pelikanartigen zuschlägt. Da ist ein Identitätskonflikt natürlich bereits programmiert bei einem Schuhschnabel. Und das ist nicht das einzige seelische Leiden der Klientin.

Also zieht die Therapeutin für die insgesamt sieben Sitzungen Experten zu Rate: einen Ornithologen, klar, außerdem ein Ehepaar, das in seiner Wohnung bereits Hunderte Vögel aufgezogen hat. Überdies einen Exzentriker, dessen Spleen es ist, die Wirklichkeit aus der Perspektive von Tieren zu erfassen. Und schließlich, als alles andere nicht hilft, bittet die Therapeutin einen Albatros in ihre Praxis.

Bildet sich diese Klientin bloß ein, ein Schuhschnabel zu sein? Was wäre, wenn nicht?

Die Klientin leidet sehr an ihrem Dasein als Schuhschnabel. Ihre Artgenossen leben in den Sumpfgebieten des Weißen Nils als sogenannte Lauerjäger. Sie werden belohnt für stundenlanges Stillstehen, das den Tieren, deren Fressfeind der Schuhschnabel ist, suggeriert, es drohe keine Gefahr. "Um überleben zu können, muss ich im Trüben fischen", lamentiert die zu therapierende, die sich nicht damit abfinden mag, dass sie so unauffällig wie möglich sein soll. Viel lieber wäre sie eine Flugkünstlerin, ein Sturmvogel - ein Tier, das man für seine Kühnheit und Eleganz bewundert. Und nicht eines, das einen Kopf hat, der an einen arabischen Schlüpfschuh erinnert.

Indem Patricia Görg ihre Geschichte als Tierfabel anlegt, kann sie die Probleme der Figuren leicht ins sehr Komische und Absurde treiben. Wobei der Charme der Inszenierung von Christiane Ohaus darin liegt, dass die Schauspieler - voran Barbara Nüsse und Maja Schöne in den Hauptrollen - ihren Figuren eine große Seriosität zugestehen. Die Therapeutin, die Klientin, die vielen Ratgeber nehmen die verhandelten Probleme sehr ernst und setzen sich gewissenhaft damit auseinander.

Gemeinsam bringen die Autorin, die Regisseurin und die Schauspieler ihre Hörer an den Punkt, an dem auch sie beginnen, wenigstens in Erwägung ziehen, diese Klientin bilde sich nicht bloß ein, ein Schuhschnabel zu sein. Was wäre, wenn sie tatsächlich einer ist? Was wäre das für eine fatale Existenz? Schlimm genug, als Vogel unter Menschen leben zu müssen, die einem das aber nicht abnehmen. Und statt sie adlerstolz oder schwalbenleicht oder wenigstens spatzenfrech von ihrer Fehlannahme abzubringen, steht man still und tumb als Schuhschnabel zwischen ihnen. Nicht nötig zu erwähnen, dass deren Gefieder welche Farbe hat - genau: grau.

Tier-Therapie, NDR Kultur, 20. September 2023, 20 Uhr.

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