Süddeutsche Zeitung

Thomas Gottschalk zum 60.:Generation Gottschalk

Erst kam das Wirtschaftswunder, dann '68 und schließlich Thomas Gottschalk. Der ewige Spaß-Moderator feiert Jubiläum.

H.-J. Jakobs

Eine große Feier im kleinen Kreis: Thomas Gottschalk zelebriert mit 25 Freunden und deren Partnern seinen 60. Geburtstag in der Upper East Side in New York, im vornehmen Hotel Plaza Athene. Zu den Geladenen an diesem 18. Mai 2010 gehören Klaus Wowereit, Guido Westerwelle und Gunther Sachs. Einer der Teilnehmer hat eine tiefgründige Geburtstagsrede vorbereitet und zum Phänomen Gottschalk viele Zeitgenossen befragt. sueddeutsche.de veröffentlicht das Manuskript exklusiv.

Geschätztes Geburtstagskind, verehrter Großunterhalter der Nation, lieber Thommy,

Du musst Dir in diesen Tagen wahrlich genug Lobpreisungen anhören. Es hat wenig genutzt, dass Du in Deinem Sender ZDF, der ohne Dich kaum mehr vorstellbar ist, vor Wochen schon eine große Show über die sechziger Jahre gemacht hast. Das mit der 60 hat sich damit erledigt, dachtest Du. Aber wie das so ist mit solchen Plänen - am schönsten malt die Wirklichkeit. Und dass Du, der ewige Juvenile, der blonde Peter Pan des Fernsehgeschäfts, nun formal im Jahrzehnt der allgemeinen Verrentung angekommen bist, berührt dann doch sehr viele. Gottschalk 60?

Lieber Thomas, Du magst es vielleicht als Anbiederung betrachten, aber wenn man sich Dein Leben betrachtet, liegt der Schluss nahe, dass die Sache mit der Generation Golf, die der Feuilletonist Florian Illies ausgerufen hat, einfach grundfalsch ist. Du hast ja intern zu Recht immer vor den sesselgewärmten Besserwissern in den Redaktionen gewarnt, die sich über Deine monumentale Familiensendung Wetten, dass..? mokieren und in Hochkultur machen. Nein, die Erkenntnis drängt sich geradezu auf: Statt Generation Golf muss es Generation Gottschalk heißen.

Übertrieben? Geschmeichelt? Gelebte Realität!

Es ist doch so, dass die Deutschen seit Mitte der siebziger Jahre mit Dir aufgewachsen sind. Du bist das Symbol der neuen Fröhlichkeit, die sich nach den kargen Wiederaufbaujahren im Land ausgebreitet hat. Du bist der Held der Babyboomer, der Vorbote der Spaßgesellschaft. Wenn es jemanden gibt, der die Bundesrepublik zur Buntenrepublik gemacht hat, dann Thomas Gottschalk, der immer Lächelnde, allzeit Spaßbereite. Ein Pfadfinder der guten Laune, einer, der alle katholisch macht.

Seit den frühen siebziger Jahren, als Du begonnen hast, hat die Republik eine Totaländerung erlebt. Helmut Schmidt war Kanzler, und Deutschland noch lange nicht zum dritten Mal Fußball-Weltmeister. In München machten noch der Fürst aus Regensburg und Franz Josef Strauß die Läden unsicher, und Baby Schimmerlos gab es wirklich bei der Abendzeitung. Du hast sie alle kommen und gehen sehen, Kanzler Helmut Kohl und all die Streibls, Scharpings und Stoibers, die Intendanten und Medienmächtigen. Aber Du bist immer noch da. Der Vergänglichkeit der Zeit setzt Du die Kraft der Ikone entgegen. Da bist Du so eisern wie Karl Lagerfeld.

Im Radio hast Du den angloamerikanischen Pop den Deutschen näher gebracht, damals bei Pop nach acht und Thommys Radioshow auf Bayern 3. Noch heute hängst Du mit Deinen Fans den Hardrock-Idolen von AC/DC, Queen und Status Quo nach. Radio Luxemburg hat Dein Talent erkannt und Dich kurzzeitig zum Moderator der RTL-Hitparade gemacht, aber Gott sei Dank bist Du dann doch nicht zum neuen Dieter Thomas Heck geworden, sondern wurdest für bessere Aufgaben vom Bayerischen Rundfunk zurückgeholt. Jenem Sender, dem Du einst zu luxemburgisch warst.

Die Leute hatten sich an Deine Schlüpfer-Scherze gewöhnt, an Deine spontanen Wortspiele. So wurdest Du zwangsläufig zum neuen Frontman von Sendungen wie Pop-Stop und Telespiele. Die Menschen hatten nunmehr das Bild zur Stimme ihres Idols. Zusammen mit den Kollegen Manfred Sexauer und Frank Laufenberg hast Du es 1980 sogar auf Platz 49 der deutschen Hitparade geschafft: GLS United hieß Eure Formation, die den Song Rapper's Deutsch veröffentlichte.

Warum machst Du eigentlich nicht einfach GJS United, und rollst mit Deinen Freunden Günther Jauch und Harald Schmidt noch einmal die Charts auf?

Die Generation Gottschalk ist gewohnt, dass alles möglich ist. "Everything goes" ist ihr Leitspruch. Auch das hat sie durch Dich gelernt.

Richtig stilprägend bist Du erstmals von 1982 bis 1987 im ZDF geworden, Deiner Heimstatt auf dem Mainzer Lerchenberg. Mit Na sowas! hast Du es den noch vorhandenen Spießern der Adenauer-Ära so richtig gezeigt. Du hast im betont konservativen Sender lockere Gespräche geführt und Dich sehr leger angezogen. Du warst frech, aber nicht ungezogen. Anzüglich, und doch angepasst. Das Micky-Maus-T-Shirt hast Du zu Jeans getragen, Du hattest Mut zu Shorts und Schlappen sowie zu Hemd und Hosenträger. Und mit Dir hatten alle plötzlich Mut. Die Neue Deutsche Welle war da, und die Deutschen trugen Micky-Maus-Hemden und Hosenträger ohne Sakko.

Zu einem Generations-Helden gehört, dass er kein Medium unbesetzt hält. So hast Du rasch den deutschen Film entdeckt, der daniederlag und von Dir und Mike Krüger mit Werken wie Piratensender Powerplay, Zärtliche Chaoten oder Trabbi goes to Hollywood wiederbelebt werden musste. Dieses Phänomen war "super", so hießen Deine wichtigsten Filme, Die Supernasen und Zwei Nasen tanken Super. Irgendwann warst Du supermäßig auch Produzent (Joe & Max) und Synchronsprecher (Garfield).

Richtig aufrichten konnte sich die Generation Gottschalk aber erst an Dir, als Du Wetten, dass..? im September 1987 übernommen hast. Eine kurze Unterbrechung durch Wolfgang Lippert (September 1992 bis November 1993) genügte, und dem Volk war klar, was es an Dir hat. Seitdem bist Du dabei, ein Entertainer nach Maß, der zu seinem Witz, gelegentlich auch Altherrenwitz, all die bunten Anzüge, seidigen Westen und ledrigen Hosen aufträgt. Deine lockigen Haare blieben auf wundersame Weise in Form, Deine Anspielungen im Gespräch mit weiblichen Gästen prägen die einschlägigen Seiten der Presse.

Du hast die Sehnsucht der Generation Gottschalk nach einem systemkonformen Ausbruch aus dem Alltag symbolisiert. Deine Villa in Malibu, Deine Burg am Rhein und all diese Geschichten haben Dich im Gespräch gehalten. Mein Gott, dass Du wie viele andere mit Ost-Immobilien Steuern sparen wolltest und dabei in Leipzig Unerfreuliches erlebt hast - who cares?

Wie viel weniger gäbe es ohne Dich zu schreiben! Es kann nicht oft genug gerühmt werden, so wie jetzt an Deinem Ehrentag in den zahlreichen Porträts: Du bist der letzte Show-Dinosaurier am Samstagabend. Einer, der schon mal mehr als elf Millionen Zuschauer und einen Marktanteil von 38 Prozent erreicht hat.

Die Generation Gottschalk nahm zur Kenntnis, dass Du neben dem großen Wetten, dass..? kein Terrain erobern konntest. In der modernen Industriegesellschaft ist nun mal kein Job sicher und lebenslanges Lernen erforderlich. So hast Du Dich bei RTL einige Zeit tapfer mit der Gottschalk Late Night versucht, was immerhin Nachahmer wie Harald Schmidt oder Johannes B. Kerner auf den Plan gerufen hat. Anschließend gabst Du mit Deiner Haus-Party sowie Gottschalk kommt dem Mogul Leo Kirch bei Sat1 die Ehre.

Irgendwann wolltest Du sogar als eine Art Super-Agent junge Talente betreuen, so wie einst David Ovitz Hollywood aufgemischt hat. Aber auch das blieb eine Vision. Du bliebst der nette Wetten-Onkel im Hallenformat.

Am Ende hast Du Dich nicht den Kommerzkanälen ergeben, sondern Dich aufs Kommerzielle im Öffentlich-Rechtlichen konzentriert und für das ZDF flott Galas moderiert. Das hat Dich jung gehalten. Für das Zweite mit dessen Zuschauer-Durchschnittsalter von rund 60 Jahren bist Du nach wie vor ein Twen.

Niemand weiß besser als die Werbeindustrie, wie die Generation Gottschalk tickt. Sie hat Dich gerne gebucht, da konnten die Feuilletonisten noch so schimpfen. Dem Süßigkeiten-Produzenten Haribo hältst Du goldbärig seit vielen Jahren die Treue. Die Generation Gottschalk beißt auf Gummi.

Lieber Jubilar, die Sache ist doch einfach die, dass sich all die Jahrzehnte die ganze Familie aufs Wohnzimmersofa gesetzt hat, um Deine Späßchen und Zoten zu ertragen und die Frage aller Fragen zu stellen: "Was hat er heute wieder an?" Jeder wusste: Thea, Deine Frau, macht's auch nicht besser. Du warst die Mischung aus Westernsaloon und Zirkus. Man wunderte sich, hatte am elektronischen Lagerfeuer etwas zu reden und verzieh Dir einfach alles: Das Du Karteikarten abliest, nur zu Smalltalk fähig bist, niemanden ausreden lässt, auf üblen Chauvi machst und Kinder grundsätzlich von oben herab behandelst.

Als Paradiesvogel der formierten Gesellschaft kamst Du durch - so lange jedenfalls, bis die Fans Deiner ersten Jahre selbst Kinder bekamen. Für die warst Du plötzlich "out of time", wie Deine Freunde von den Rolling Stones singen würden.

Die wenigsten wissen ja, wie sehr Du - der ausgebildete Lehrer, der mal Priester werden sollte - die Welt pädagogisch siehst. Stundenlang kannst Du Dich persönlich mit jenen zur Autorisierung vorgelegten Interview-Texten befassen und noch in jeder Formulierung eine sprachschöpferische Steigerung entdecken.

Von daher war es verdient, dass Du mit Marcel Reich-Ranicki im ZDF eine Stunde über Qualität im Fernsehen fachsimpeln konntest, wobei Du das Wort "Quote" in einer Weise strapaziert hast, die sonst nur Intendanten obliegt. Aber Du hast ja auch schon öffentlich davon gesprochen, eine Art "Quotennutte" zu sein.

Manche haben Dir, lieber Thomas Gottschalk, den Erfolg geneidet. Wer aber kann schon von sich sagen, eine ganze Generation geprägt zu haben? Nach Dir kann es kein Wetten, dass..? geben, nach Dir wird das Internet und die Moderne gesiegt haben. Solange bleibst Du die Supernase der deutschen Unterhaltung, der General einer Generation. Erinnerung an eine Zeit, als es noch die DDR gab und an Google nicht zu denken war.

Und jetzt, kurz vor Deinem 40. Berufsjahr: ad multos annos!

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