WDR-Themenabend "Supernerds":Spielen Sie doch mal Überwacher!

In einem Live-Experiment nähern sich das Schauspielhaus Köln und der Westdeutsche Rundfunk dem Thema Angst und Bespitzelung - und wollen das auch dem Publikum vermitteln.

Von David Denk

Hoppla, was ist das? Eine weitergeleitete Mail im Posteingang: "Ich möchte jetzt nicht David D. sein. :)" Ein Satz - und plötzlich ist alles ein bisschen anders, ist man mittendrin statt nur dabei. Natürlich klickt man gleich auf den Link, landet auf einem Blog und findet dort die eigene Handynummer und E-Mail-Adresse. Schluck.

So ergeht es einem, wenn man sich für die Supernerds Experience anmeldet, ein sogenanntes Suddenlife Gaming. Darin wird man zum Überwacher, bekommt etwa SMS und E-Mails weitergeleitet, die vorgeblich für jemanden anders bestimmt sind und Anrufe, bei denen man Gespräche fremder Menschen belauschen kann. Der Begriff Suddenlife Gaming beschreibt "den überraschenden Ablauf einer erdachten Begebenheit im Alltag der Menschen", werden die Mitspieler auf supernerds.tv aufgeklärt: "Bewusst wird dabei die Grenze zwischen Realität und Fantasie verwischt." Es gehe darum, ein "Kopfkino auszulösen", sagt Christian Beetz.

Mit der Supernerds Experience wollen Beetz und seine Gebrueder Beetz Filmproduktion auf ihren "Überwachungsabend" im WDR Fernsehen aufmerksam machen. Und nachdem man das anfangs alles für arg harmlos hält, bekommt man doch genau in dem Moment ein mulmiges Gefühl, als man plötzlich vom scheinbaren Überwacher zum scheinbar Überwachten wird. Wie gesagt: Schluck.

Christian Beetz wäre mit dieser Reaktion sehr zufrieden, geht es ihm doch bei dem gesamten Projekt darum, "eine emotionale Erfahrung zu vermitteln, was Überwachung bedeutet". Der Produzent, Jahrgang 1968, ist "entsetzt über die Lethargie gegenüber der Datensammelwut von Geheimdiensten und Konzernen". Auch wenn potenziell jeder Bürger davon betroffen ist: "Es ist den Leuten zu weit weg."

Das Live-Publikum konnte seine Karten absichtlich nur über das Internet bestellen

Beetz und sein Team haben die anspruchsvolle Aufgabe angenommen, das Thema Überwachung an das Publikum heranzurücken, durch das Suddenlife Gaming im Vorfeld, aber vor allem mit einem rund um die Premiere von Angela Richters Whistleblower-Theaterstück Supernerds gestrickten TV-Programm, bestehend aus der Dokumentation Digitale Dissidenten und einer interaktiven Live-Show mit Bettina Böttinger aus dem Schauspiel Köln.

Verschiedene Spielchen fürs Publikum

Mit dem Theaterpublikum, das seine Tickets absichtlich nur übers Internet bestellen konnte, habe man "verschiedene Spielchen" vor, erzählt Beetz und beschwichtigt sogleich: "Wir könnten und dürften vieles, aber wir tun nur wenig." So sei es etwa vorstellbar, abwechselnd die Handys von Zuschauern von der linken und von der rechten Rheinseite aufleuchten zu lassen. Beetz spricht von "Spielen in Grenzen", um etwa Vorbehalte von Theaterabonnenten zu entkräften, die das Stück boykottieren wollten. "Wir haben unterschätzt, wie groß die Angst der Menschen ist, sich etwas auszuliefern, was sie nicht mehr kontrollieren können", räumt Beetz ein. Auch auf das Suddenlife Gaming gab es neben dankbaren Reaktionen von Eltern auch panische von Usern, die sich freiwillig angemeldet hatten und sich im Laufe des Spiels um ihre Daten zu sorgen begannen. Einerseits: Ziel erreicht, andererseits: viel Deeskalationsarbeit für Beetz und sein Team.

Auch in Digitale Dissidenten - Krieger des digitalen Zeitalters von Cyril Tuschi (Mitarbeit: Georg Tschurtschenthaler), den der WDR in Anschluss zeigt, geht es um jene, die sich gegen die weitverbreitete Lethargie stemmen - Whistleblower wie Edward Snowden oder Thomas Drake, "die Berufs- und Privatleben aufs Spiel setzen, um die Öffentlichkeit aufzurütteln", so Beetz. "Ich war Persona non grata, wie radioaktiv", erzählt der frühere NSA-Mann Drake im Film. Nach seinen Enthüllungen arbeitet der Computerexperte heute weit unter seiner Qualifikation für Apple.

Zwei Wirklichkeiten prallen im Film aufeinander: die der Whistleblower und die von Stephan Mayer, dem innenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Die einen kritisieren die Unkontrollierbarkeit der Nachrichtendienste und ihrer Aktivitäten, Mayer wiegelt ab. Der Film schneidet die Aussagen gegeneinander und nimmt nur insofern eine Wertung vor, als Mayer der einzige Politiker im Film ist.

Gegen Ende besichtigt Ex-NSA-Mitarbeiter Drake das ehemalige Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen. "Wie ähnlich das ist!" Er wundert sich über das Paradox, "dass die Technologie des Westens heute für Massenüberwachung eingesetzt wird, in einem Ausmaß, das sich die Stasi nie hätte träumen lassen." Man brauche dafür heute zudem keine menschliche Agenten mehr - "das übernimmt der Computer." Oder wie es der Kulturwissenschaftler Beetz formuliert: "Wir können gar nicht denken, was hier gerade passiert. Moderne Überwachung funktioniert komplett anders als die antiquierten Stasi-Bilder in unseren Köpfen."

Supernerds - Ein Überwachungsabend, WDR, ab 20.15 Uhr.

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