"The Voice Kids" auf Sat 1: Voll auf die Kleinen

'The Voice Kids': Interview mit den Coaches

Kinder gegen das Quotentief: Auch Sat 1 bringt mit "The Voice Kids" nun Kinder auf die Fernsehbühne. Im Bild die Juroren Tim Bendzko, Lena Meyer-Landrut und Henning Wehland.

(Foto: obs)

Jetzt sind die Kinder dran: Mit "The Voice Kids" schickt Sat 1 kleine Talente auf die Bühne und wagt sich an eins der schwierigsten TV-Genres. Die Kandidaten sind tatsächlich talentiert. Und süß. Was die Coaches überfordert. Allen voran eine sollte dringend mal runterkommen.

Eine TV-Kritik von Carolin Gasteiger

"Liebe Chelsea, bitte komm ich mein Team. Du bist ganz toll." Mit Dackelblick und großen Rehaugen steht Lena Meyer-Landrut vor ihrem Jurystuhl. Tim Bendzko und Henning Wehland schauen verzückt bis verliebt und schütteln immer wieder ungläubig die Köpfe. Schließlich greift das kleine Mädchen mit Blumenkleidchen und Rastazöpfchen auf Lenas Platz zum Mikro.

Chelsea grinst verlegen: "Also eigentlich war mein großer Traum eben, zu Dir zu kommen."Sie ist acht Jahre alt und die bislang jüngste Kandidatin der ersten Folge bei "The Voice Kids". Das Mikro in ihrer Hand wirkt fast größer als sie selbst, ihre Stimme jedoch, mit der sie "Girl on Fire" schmettert, kann locker mit den Großen mithalten. Und irgendwie hat man den Eindruck, dass die Kleine das auch weiß, wenn sie auf Lenas Bitten hin in deren Team geht.

Kinder gegen Quotentiefs

Mit "The Voice Kids" will Sat 1 an den Erfolg von "The Voice of Germany" anknüpfen und setzt nun auf die Zielgruppe, die im Fernsehen anscheinend noch nicht hinreichend berücksichtigt wurde: Kinder. "Deutschland sucht den Superstar" musste seinen Kinder-Ableger bereits wieder einstellen, bei "Das perfekte Dinner" standen auch schon kleine Köche am Herd. Nun sollen auch bei "The Voice" die Kleinen für gute Quoten sorgen.

Es ist wirklich süß, den Kindern zuzusehen, wie ihre Augen beim Applaus des Publikums leuchten, wie sie die Jury anhimmeln und sich über deren Lob freuen. Neben Lena sitzen dort Tim Bendzko ("Nur noch kurz die Welt retten") und Henning Wehland, Sänger bei H-Blockx und den Söhnen Mannheims. "Die Magie liegt darin, dass man nicht damit rechnet, was passiert", sagt Bendzko zu Beginn der Show. Und tatsächlich haben die Kleinen Talent. Mit Bravour singt die 13-jährige Laura Whitney Houstons Schmachtfetzen "I will always love you". Als erste Kandidatin überhaupt bei "The Voice" tritt ausgerechnet eine 14-Jährige mit einem klassischen Stück an, "Der Hölle Rache" aus Mozarts Zauberflöte. Und selbst die, die nicht weiterkommen, verfehlen kaum einen Ton.

Das Konzept ist dasselbe wie bei den Großen von "The Voice of Germany". Von der Bühne aus sieht der Kandidat nur die Rückenlehnen der Jurystühle in der Hoffnung, dass einer auf den Buzzer haut. Was bei den Großen nur in Ausnahmefällen passierte, wird hier aber zum Standard: Wenn ihnen ein Kandidat gefällt, drücken die Juroren nicht mehr nur den roten Knopf, sie springen von ihren Stühlen auf, reißen die Arme in die Luft oder knien schon auch mal vor den Kandidaten nieder. Der Spruch: "Ich kann von Dir lernen", nicht umgekehrt, fällt sinngemäß nicht nur einmal während der Show.

Kritik von Kinderschützern

Natürlich kommt es gerade bei Kindern auf den richtigen Ton an, harsche Kritik hätte hier fatale Auswirkungen. Zum ersten Mal vor einem Millionenpublikum aufzutreten - das gehört nicht zu den normalen Erfahrungen von Acht-bis 14-Jährigen. Das Konzept von "The Voice Kids" und ähnlichen Sendungen sieht Paula Honkanen-Schobert, Bundesgeschäftsführerin des Deutschen Kinderschutzbundes, deshalb auch kritisch: "Casting-Shows produzieren sehr viele Verlierer, und nur einer kann gewinnen. Aber Kinder sollen ja individuell ihre Stärke zeigen. In diesem Konzept ist die Enttäuschung vorprogrammiert."

Besonders vor den Folgeerscheinungen so eines TV-Auftrittes warnt auch Maya Götz, Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen: "Man darf nicht unterschätzen, was dieses Erlebnis für Kinder bedeutet. Das braucht Verarbeitungszeit, um davon wieder runterzukommen."

Künstliche Frisuren und affige Posen

Man muss den Coaches lassen, dass sie sich wirklich um die Kinder bemühen, sie nicht bloßstellen oder vorführen wollen. Aber all die "Boah"-Ausrufe, das ständige "Unfassbar gut" nimmt man dem Trio irgendwann nicht mehr ab. Als hätten sie nicht gewusst, worauf sie sich eingelassen haben.

Henning Wehland betont vorab: "Unsere oberste Priorität sind die Kinder. Und in zweiter Linie wollen wir vermitteln, dass es nicht ums Gewinnen, sondern um die Erfahrung geht", sagt er vor der Ausstrahlung zu Süddeutsche.de. Es komme nicht darauf an, etwas mit Kindern zu machen, sondern auf die Art und Weise, wie man mit ihnen umgehe. Auch bei den Kleinen greift das erfolgserprobte Kuschel-Motto von "The Voice of Germany", ein Wir-haben-uns-alle-so-lieb-Prinzip, das Haudrauf-Kritik à la Bohlen längst überholt hat.

Hier stehen keine kleinen Star-Doubles auf der Bühne, die in schrägen Klamotten und künstlichen Frisuren und mit affigen Posen versuchen, ihre Idole zu imitieren. Auch wenn man sich bei einigen fragt, ob sie den englischen Text, den sie da fehlerfrei vortragen, überhaupt schon verstehen. Es wirkt, als seien es ganz normale, wenn auch sehr talentierte Kinder, die da singen.

Duracell-Lena nervt

Diesen talentierten Kindern stiehlt jedoch eine die Show: Lena, selbst gerade kein Kind mehr, als sie Anfang 2010 zur deutschen ESC-Hoffnung ausgerufen wurde. "Ich ärgere mich zu Tode. Du bist ja zuckersüß", ist nur einer der Sätze mit dem Wort "süß", die sie die Sendung über vor sich hinquiekt. Zwischen den einzelnen Auftritten zeichnet sie Teilnehmerkarten für ihre Schützlinge (Aufschrift: Love, was sonst) und ist mehrmals "einfach nur sprachlos".

Nur, um im Anschluss doch wieder ganz schön viel zu reden, zu quieken oder wie ein Duracell-Häschen durchs Studio zu tanzen. Um einfach runterzukommen. Und als Pablo (der so "zuckersüß" ist), nicht weiterkommt, seinem Idol aber ein selbst gemaltes T-Shirt präsentiert, bricht Lena endgültig zusammen. Sie weint, sie schluchzt, stöckelt ihrem Fan hinter die Bühne nach. "Du kannst stolz sein." Bei Lena heißt es oft, sie sei so natürlich. Authentisch oder nicht: Ihr Gehabe in der Show jedoch wirkt aufgesetzt und nervt.

Wir bräuchten in der deutschen Gesellschaft und gerade in der Popkulturgesellschaft eine Veränderung, sagt Juror Wehland, der mit "The Voice Kids" Kindern im Fernsehen endlich gerecht werden will. "Tim Bendzko oder Lena hätten sich ein Bein dafür ausgerissen, in so einer Show aufzutreten", sagte er.

Verzerrte Realitätswahrnehmung

Medienforscherin Götz hat die Wirkung von Castingshows auf Kinder untersucht und sieht besonders wegen der verzerrten Realitätswahrnehmung medienpädagogischen Handlungsbedarf. "Diejenigen, die das anschauen, gehen davon aus, dass das Realität ist und das ist es eben nicht." Grundsätzlich heißt sie es aber gut, mehr Kinder im Programm zu sehen, zeige es doch, dass Kinder zu unserer Gesellschaft gehören. "Kinder können was, sie sind wertvoll. Das zu sehen, tut unserer Gesellschaft gut."

Mit den ersten Kandidaten des Abends macht eine überflüssige Backstage-Reporterin noch Lockerungsübungen gegen die Aufregung. Ausnahmetalent Chelsea braucht so etwas nicht. "Ich habe keine Angst", sagt sie voller Überzeugung vor ihrem Auftritt und wirkt dabei für ihre acht Jahre auffallend abgeklärt. Von ihr kann Teamleiterin Lena noch was lernen.

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