"The Putin Interviews" auf Sky:Keine Dokumentation, sondern ein Autokraten-Porno

Wladimir Putin Interviews Oliver Stone

Amerikakritiker unter sich: "Ich nehme an, die Dokumente sind geheim, die können Sie uns nicht zeigen" sagt Stone zu Putin. Der greift das dankbar auf: "Ich denke, mein Wort sollte genügen. Sonst fragen Sie Bush, der sollte sich erinnern." Beide lachen.

(Foto: Showtime)

Oliver Stone hat Wladimir Putin immer wieder zu Interviews getroffen. Doch der Faszination der Macht will der Filmemacher nicht auf den Grund gehen. Im Gegenteil.

Von Julian Hans und David Steinitz

Hat Wladimir Putin auch mal einen schlechten Tag? "Ich habe keine Tage, ich bin ja keine Frau." Würde Putin mit einem Schwulen in die Gemeinschaftsdusche gehen? "Ich möchte niemanden provozieren. Außerdem kann ich Judo." Über einen Zeitraum von fast zwei Jahren - von Juli 2015 bis Februar 2017 - hat der Oscar-gekrönte Regisseur Oliver Stone den russischen Präsidenten immer wieder zu Interviews getroffen, um am Ende aus 30 Stunden Material solche Perlen herauszufischen. Von Sonntag an zeigt der US-Sender Showtime das Ergebnis in vier einstündigen Episoden. In Deutschland laufen sie kommende Woche bei Sky.

Stone saugt Putins Worte auf, ohne nachzuhaken oder Fakten zu überprüfen

Macht fasziniert nicht weniger als Sex, das ist nichts Neues. Und es spricht überhaupt nichts dagegen, dieser Faszination auf den Grund zu gehen. Ebenso wenig ist dagegen einzuwenden, Wladimir Putin nach seiner Sicht der Dinge zu fragen. Auch wenn er sie seit Jahren in Reden und Interviews kundtut und jeder halbwegs Interessierte inzwischen mitmurmeln kann: Die Nato hat sich nach dem Ende des Kalten Krieges wortbrüchig nach Osten ausgedehnt, die USA haben den islamistischen Terrorismus selbst gezüchtet, vom Balkan bis nach Nordafrika steckt hinter jedem Auflehnen gegen Diktaturen der lange Arm Washingtons. Die grünen Männer auf der Krim, der Abschuss von MH17, die Hacker-Angriffe in den USA, Frankreich und Deutschland - alles nicht unsere Leute.

Oliver Stone saugt das auf, ohne einmal nachzuhaken oder Fakten zu überprüfen. Er will der Faszination der Macht nicht auf den Grund gehen, er will sich ihr hingeben. So ist keine Dokumentation entstanden, sondern ein Autokraten-Porno.

Es geht um die Bestätigung eigener Fantasien und um den schönen Schauder. Das Hauptthema in der zweiten Folge ist ein drohender Atomkrieg. Würden die Amerikaner den gewinnen, wo sie doch zehnmal mehr für Rüstung ausgeben als die Russen? "Nein", antwortet Putin. "Niemand wird das überleben." Einen Moment herrscht Schweigen, dann setzen die Streicher ein. In der nächsten Einstellung sehen sich Stone und Putin gemeinsam den Kubrick-Klassiker Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben an. Als müsste der Interviewer seinen Protagonisten noch davon überzeugen, dass die US-Generäle durchgeknallt sind.

Fast jeder Hollywoodregisseur behauptet, politisch zu sein. So radikal wie Stone geht aber kein amerikanischer Filmemacher seine Werke an. Linksliberale Köpfe wie Steven Spielberg oder Michael Moore legen zwar auch ihre Weltsicht in ihren Filmen dar, aber lange nicht so schonungslos und um jeden Preis wie der 70-Jährige. Dabei stammt Stone aus einer eher konservativen Familie und sagt über sich selbst, dass er als junger Mann ein "John-Wayne-Bild" von Amerika hatte. Dieses frühe Weltbild brachte ihn auch dazu, sich zur Armee zu melden. Aber seine Einsätze im Vietnamkrieg veränderten seinen Blick auf die Politik und machten ihn zum Kritiker des eigenen Landes.

Ein desolates Bild der Vereinigten Staaten zeichnete er nicht nur in Spielfilmen wie der brutalen Vietnam-Abhandlung Platoon oder der Gewaltfantasie Natural Born Killers, sondern vor allem in seinen Dokumentarfilmen. Stone ist ein Bewunderer fast aller prominenten Amerikakritiker, er porträtierte Fidel Castro und Hugo Chavez und vergaß in diesen filmischen Huldigungen auch mal die eigene kritische Distanz. Sein letzter Spielfilm war Edward Snowden gewidmet, in dem er einen "Helden" sieht.

Bei aller berechtigten Wut auf das eigene Land - sind seine Feinde deshalb automatisch Freunde?

Stone leidet an seinem Land. "Amerika ist sehr gut darin, seine Bürger passiv zu halten. Wir leben in einem Polizeistaat, ohne uns darüber aufzuregen", sagte er beim Treffen in München im vergangenen Jahr. Sein Ziel als Künstler wie als US-Staatsbürger ist es deshalb, die dunklen Seiten des amerikanischen Machtapparats bloßzustellen. Aber bei aller berechtigten Wut auf das eigene Land - sind seine Feinde deshalb automatisch Freunde?

Was Putin denn glaube, was die langfristige Strategie der Vereinigten Staaten gegenüber seinem Land sei, fragt Stone? Als Putin sich um die Antwort drückt, antwortet er einfach selbst: "Dann sage ich Ihnen, was ich denke, oder was viele gut informierte Leute denken: Die US-Strategie ist es, die russische Wirtschaft zu zerstören, sie auf das Niveau der 1990er zurückzustutzen, die russische Führung gegen ein loyales Regime auszutauschen, um Russland zu dominieren und ihm sein Nuklear-Arsenal wegzunehmen." Das Interview als Selbstgespräch. Stone braucht Putin nur zur Bestätigung seines eigenen Weltbilds: Die USA sind scheiße, nicht wahr? Putin zuckt daraufhin nur mit den Schultern.

Als reines Interview wäre der Film schwach, durch die dazu montierten Bilder wird's zynisch

Der Mann, der sich selbst für einen der kritischsten und unbequemsten Regisseure Hollywoods hält, schmilzt dahin. Als Putin behauptet, US-Geheimdienste hätten Terroristen in Tschetschenien unterstützt, lädt ihn Stone regelrecht dazu ein, diese unerhörte Behauptung unbelegt zu lassen: "Ich nehme an, die Dokumente sind geheim, die können Sie uns nicht zeigen." Putin greift das dankbar auf: "Ich denke, mein Wort sollte genügen. Sonst fragen Sie Bush, der sollte sich erinnern." Beide lachen.

Als reines Interview wäre das nur schwach. Durch die Bilder, die Stone dazu montiert, wird es zynisch: Es sind Aufnahmen von den Terroranschlägen auf ein Moskauer Musical-Theater 2002 mit mehr als 130 Opfern und von der Geiselnahme in Beslan zwei Jahre später mit 333 Toten. Beide Male war die hohe Opferzahl durch Fehler der Sicherheitskräfte verschuldet, für Beslan hat das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg erst im April noch einmal bestätigt. Im Film werden die Getöteten zu Opfern von US-Geheimdienstaktivitäten.

Die Methode ist nicht neu, ausgewählten Journalisten, Schriftstellern oder Filmemachern einen exklusiven Zugang ins Herz der Macht zu gewähren, in der Hoffnung, dass diese Nähe auch ihr Herz berührt. Das historische Vorbild ist der deutsche Schriftsteller Lion Feuchtwanger, der den Jahreswechsel 1936/1937 in Moskau verbrachte, Stalin traf und die Schauprozesse besuchte, die den Auftakt zum Großen Terror bildeten. In seinem Reisebericht Moskau 1937 gab sich Feuchtwanger überzeugt davon, dass führende Kommunisten, die nach Monaten schwerer Folter alles gestanden, Genossen und Familie beschuldigten, sich tatsächlich gegen die Sowjetunion verschworen hatten.

Je weniger Vorkenntnisse, desto besser. 2012 war es der deutsche Dokumentarfilmer Hubert Seipel, der für den NDR die Homestory Ich, Putin drehte, die auch das russische Staatsfernsehen ausstrahlte. Zufällig standen gerade Präsidentenwahlen an. Man könnte das einen frischen Blick nennen oder Naivität oder absichtliche Irreführung der Zuschauer. Etwa, wenn Stone sich nach Putins Familie erkundigt: Spielt er mit den Enkeln? Zu wenig Zeit. Diskutiert er mit seinen Schwiegersöhnen? Sie sind kleine Unternehmer. Eine einfache Recherche hätte ergeben, dass Putins Schwiegersohn Kirill Schamalow auf dubiosen Wegen Anteile am Petrochemie-Riesen Sibur erhalten hat und so 2016 in der Liste russischer Dollar-Milliardäre landete. Keine Fragen - stattdessen: "Sie müssen ein sehr glücklicher Mann sein mit diesem Familienleben."

2018 wird wieder gewählt. Putin hat seine Kandidatur zwar noch nicht offiziell verkündet. Der Werbeclip eines Oscar-Preisträgers ist aber schon fertig.

The Putin Interviews, von Dienstag an täglich eine Episode auf Sky On Demand, Sky Go und Sky Ticket. Am Samstag (ab 12.40 Uhr) und Sonntag (ab 13.20 Uhr) je zwei Episoden auf Sky Atlantic HD.

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