"The North Water" bei Magenta TV:Nichts als Gespenster

Lesezeit: 3 Min.

Aufbruch der Waljäger. Am Heck: Colin Farrell als Harpunier Drax. (Foto: BBC Studios/See-Saw Films)

Nach dem Bestseller von Ian McGuire: Colin Farrell geht im ewigen Eis auf Waljagd.

Von Nicolas Freund

Die Welt ist ein grausamer Ort, kalt und gleichgültig gegenüber Tod und Leid. Der Mensch hat nur zwei Möglichkeiten: Er kann sich abschotten und dem Schönen und Geistigen widmen, um das Leid hinter sich zu lassen. Oder er kann ein Teil dieser Welt werden, selbst kalt und gleichgültig gegenüber Tod und Leid.

Das sind alte Fragen, alt wie die Menschheit. Deshalb war es einerseits überraschend und andererseits sehr nachvollziehbar, dass der britische Literaturwissenschaftler Ian McGuire vor ein paar Jahren einen Bestseller landete, als er einen Roman über dieses archaische Thema schrieb: "The North Water", in der deutschen Übersetzung "Nordwasser" und für den Booker Prize nominiert, erzählt von Gewalt, von der Waljagd und vom Krieg, von Entbehrung im hohen Norden und auf See, und was dieses Leben mit den Menschen macht. Vorbild waren Melvilles "Moby Dick" und Cormac McCarthys "Blood Meridian". Ein Roman gewaltiger Bilder zwischen dem gelben Staub Indiens und dem blauen Eis des Nordens, die eine Verfilmung geradezu forderten. Es ist ein Glück, dass diese nun als fünfteilige Miniserie und nicht nur als zweistündiger Spielfilm umgesetzt wurde und dass tatsächlich fast einen Monat lang auf einem echten Segelschiff vor Spitzbergen gedreht wurde.

Aus archaischen Motiven schält sich ein rohes Bild des Menschen

Colin Farrell spielt den Harpunier auf diesem Schiff, das in der Serie Volunteer heißt. Henry Drax ist ein zotteliges Monster, grausam und gerissen, ein Walkiller, der genau weiß, wie und wo er seine Harpune platzieren muss, um das Herz der riesigen Tiere zu treffen. In einer Welt der Raubtiere hat er sich an die Spitze der Nahrungskette gesetzt. Nur: Die Zeit der Jäger ist abgelaufen. Seine Profession ist dem Untergang geweiht. Es ist das Ende des 19. Jahrhunderts, das Walöl, mit dem einst die Städte nachts in Licht getaucht wurden, wird nicht mehr gebraucht, es wird vom effizienteren Paraffinöl ersetzt und in absehbarer Zeit von der Elektrizität abgelöst werden. Die ganze Expedition ist deshalb eine Farce, denn mehr Geld als mit Öl lässt sich mit Versicherungsbetrug machen. Die Seemänner an Bord des Walfängers sind längst wandelnde Tote, Gespenster ihrer selbst, zu nichts mehr gut, als dass andere mit der Vernichtung ihrer Körper Profit schaffen. Was trennt sie noch von den Walen, die sie jagen und töten?

Feingeist in einer Welt der Kälte und Gewalt: Jack O'Connell als Schiffsarzt Patrick Sumner. (Foto: BBC Studios/See-Saw Films)

Ein Mann versucht an Bord dieses Geisterschiffs die Humanität zu bewahren, ist aber ebenfalls ein Gescheiterter, der sein Unglück nicht wahrhaben möchte: Patrick Sumner (Jack O'Connell), Feldchirurg, wegen Befehlsverweigerung beim Kampfeinsatz in den indischen Kolonien unehrenhaft entlassen, ist froh, auf diesem Schiff Anstellung gefunden zu haben. Zweifelnd sieht er dem blutigen Handwerk der Waljäger zu, wie die Tiere an Bord zerlegt werden, staunt über die grausame Gleichgültigkeit und Rohheit der Besatzung. Wie anders ist da sein Umgang mit dem Skalpell. Oder? Er liest in der Kabine Homer und Swedenborg, während vor dem Bullauge die Gletscher und Eisberge vorbeiziehen. Selbstbetrug im Angesicht der rohen Natur, die Verteidigung des Nutzlosen, oder seine einzige Rettung?

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Kaum auf See wird ein Schiffsjunge vergewaltigt und ermordet. Ein Fall, der in dieser Welt wenig Aufsehen erregt. Schnell wird der Matrose verdächtigt, von dem man sagt, er bevorzuge die Gesellschaft von Männern. Einzig Sumner will sehen, dass die Beweise nicht zusammenpassen und alle Indizien auf einen anderen Mörder weisen, auf den Harpunier Drax. Über den Ermittlungen im ewigen Eis hängt die Frage: Kann sich die Zivilisation, das Menschliche, die Gerechtigkeit in dieser darwinistischen Welt gegen das Alpha-Raubtier durchsetzen?

Die Serie ist humorlos und scheut keine noch so blutige Wunde, es geht um Tod, Mord und Entbehrung, alles hier will etwas Urzeitliches ansprechen. Aus diesen archaischen Motiven schält sich ein rohes Bild des Menschen, eines Menschen im Unterschied zur Natur, der mitfühlt und der den Grausamkeiten und der Kälte etwas entgegenzusetzen hat. Es ist die Geburt des Humanismus, und The North Water ist eine große Verteidigung dieses Ideals.

The North Water, ab 14.10. bei Magenta TV, fünf Episoden

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