Süddeutsche Zeitung

Serie "The Mopes":Depression auf zwei Beinen

In "The Mopes" befällt Nora Tschirner als personifizierte psychische Erkrankung einen erfolglosen Musiker. Klingt nach einer durchgeknallt tollen Idee. Aber geht sie auch auf?

Von Friederike Zoe Grasshoff

Bis vor Kurzem war F32.1-2011/01 die beste mittelgradige Depression, die man auf dem Markt kriegen konnte. In Uniform und schwarzer Kappe schlich sie sich nachts in fremde Wohnungen und befiel ihren Wirt. "Du bist wertlos", sagte sie, "du kannst nichts." Der Wirt erkrankte mitunter schwer, und F32.1-2011/01 bekam ein neues Abzeichen an die Uniform geheftet, hart in der Sache, effektiv, F32.1-2011/01 war eine Musterdepression.

In der sechsteiligen Serie The Mopes, die am Dienstag mit einer Doppelfolge auf TNT Comedy anläuft, ist Depression kein Zustand an sich, die Krankheit hat eine Gestalt, ist eine Person, und diese Person ist weiblich, gespielt von Nora Tschirner. In der "Zentrale für psychische Erkrankungen", einem totalitären und weltweit operierenden Krankheitsverwaltungsapparat, marschieren Panikstörungen, Schizophrenien und Depressionen wie in einer Orwell'schen Psychodystopie durch dunkle Hallen, konkurrieren um Beförderungen, bespitzeln und denunzieren sich gegenseitig. In der Kernarbeitszeit betreuen sie ihre Fälle, bis diese das Endstadium erreichen: Akzeptanz.

Eines Nachts taucht F32.1-2011/01 bei Mat (Roel Dirven) auf, früher Frontmann der Boyband 4 Eternity, heute mäßig erfolgreich, aber immer noch frauenaufreißend in Berlin lebend. Die Krise setzt in dem Moment ein, als er bei seiner festen Freundin einzieht. "Deine Songs sind nur leere Hüllen", flüstert ihm F32.1-2011/01 zu, plötzlich liegt sie neben ihm im Bett. Seiner Depression, die nur er sehen kann und sonst niemand (weshalb er bald als verrückt gilt), gibt er den Namen Monika.

Die wichtigste Regel der Zentrale kann die Depression nicht einhalten

Monika, die menschgewordene Erkrankung. Allein wegen dieser Idee wäre es wahrscheinlich sehr unterhaltsam, mal einen Tag im Kopf von Drehbuchautorin Ipek Zübert zu verbringen. Der The Mopes zugrunde liegende Gedanke, psychische Probleme so ernst zu nehmen, dass man sie optisch menschengroß wahrnehmen kann, ist toll im Sinne von: durchgeknallt toll. Nur Dramaturgie und Umsetzung kommen da nicht ganz mit.

Bald schon deprimiert Monika ihren Fall derart, dass er Freundin, Libido und Wohnung verliert, aber auch mit ihr, der karrieristischen Erkrankung, geht es bergab: Die wichtigste Regel der Zentrale ("Zu den Fällen ist Distanz zu wahren") kann sie nicht durchhalten, sie entwickelt Mitgefühl. Nicht nur muss sie mit ansehen, wie der immer ungeduschtere Mat immer boybandartigere Liebeskummersongs singt und mit einem "Therapeuten" mit Jakobsweg-Sozialisation den Schmerz wegatmet. Wie das 2021 so ist, gerät er auch noch in ein, zwei Shitstorms, weil er dabei gefilmt wird, wie er mit einer Lampe auf seine (für andere Menschen unsichtbare) Depression einschlägt. Dass ein Fall sie sehen kann, ist Monika bisher nicht untergekommen, in der Zentrale teilt die Vorgesetzte ihr mit, dass sie eine äußerst seltene "Diskrepanzia" zu sein scheint, eine Abweichung. Selbst Depressionen haben Probleme.

Bevor man das Faktum, dass die Krankheit quasi selbst erkrankt, jetzt philosophisch überstrapaziert, noch mal kurz zum Ursprungspatienten, Mat. Natürlich kann jeder eine depressive Episode erleiden, die biografische Basis "Ex-Boyband-Sänger hat Versagens- und Bindungsängste" ist etwas dünn, um so eine so weit verbreitete und ernste Erkrankung würdig ins Fernsehen zu bringen. Einigermaßen schematisch durchläuft Mat die Stadien des Leugnens, des Aufbäumens, des Abstürzens und des Wiederaufstehens.

Die Eindringlichkeit, mit der Nora Tschirner über ihre eigene Depression spricht, hätte man sich von der Serie erhofft

Klar, in der Theorie ist es spaßig, Mat einen letzten Libido-Versuch mit einem Fangirl unternehmen zu lassen, während Monika danebenliegt und ihm versucht einzureden, dass er unfähig ist. In der Theorie. Das liegt nicht an Nora Tschirner, der man ihre mit viel Mimik und Klamauk ausgefüllte Rolle abnimmt, es liegt an der vereinfachten Darstellung von psychischen Erkrankungen, per se halt kein einfaches Terrain. Vor Kurzem hat Protagonistin Tschirner im SZ-Magazin sehr ehrlich und reflektiert über ihre eigene Depression gesprochen, und so viel Eindringlichkeit hatte man sich auch von The Mopes erhofft, laut Pressemitteilung eine Dramedy.

Unten, in der Zentrale für psychische Erkrankungen, funktioniert die Dramedy-Balance ganz gut: überdrehtes Funktionieren im Kollektiv, seelischer Zusammenbruch als Individuum. Die Obercoolen sind die arroganten schweren Depressionen, denn nur sie richten in der Welt da oben so richtig Schaden an, Panikstörungen kommen ganz unten in der Hierarchie, und der Narzisst ist der unsicherste von allen. Dort unten wäre man gerne geblieben, eine ganze Weile, in angenehmer Tiefe. Selten war die Akzeptanz für Abgründe größer als 2021.

The Mopes. TNT, dienstags, 20.15 Uhr.

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