Süddeutsche Zeitung

"The Meyerowitz Stories" auf Netflix:Adam Sandler spielt die Rolle seines Lebens

Der neue Netflix-Film "The Meyerowitz Stories" ist rührend, klug und witzig. Und er zeigt, was sich in Hollywood verändert hat, seit es ambitionierte Streamingdienste gibt.

Von Kathleen Hildebrand

Wie dieser Film schon anfängt: Adam Sandler - Schnauzbart, kariertes Hemd, Achtzigerjahre-Lederjacke - sucht in der allerersten Szene einen Parkplatz. Und weil The Meyerowitz Stories nicht nur in New York spielt, sondern auch ein klassischer New-York-Neurotiker-Film ist, geht das nicht ohne Leid und Wut. Danny Meyerowitz, so heißt Sandlers Rolle, kurbelt also hektisch am Lenkrad herum. Er guckt in den Rückspiegel, sucht eine Lücke, erzählt seiner Tochter Eliza, die neben ihm sitzt, was er ihr als Kind für Lieder vorgespielt hat. Alles gleichzeitig.

Es ist Elizas letzter Tag zu Hause, bevor sie ans College geht, und man spürt in dieser kleinen, perfekten Szene alles, was dieser bevorstehende Abschied in Danny auslöst: Wie traurig er darüber ist und wie er sich zwingt, dieser Traurigkeit nicht nachzugeben. Wie er seine Tochter halten will und wie er sich innerlich selbst ermahnt, sie das nicht allzu sehr spüren zu lassen. Genauso hilflos wie er sich gegenüber diesem Abschied von seinem geliebten Kind fühlt, sucht Danny auch einen Parkplatz in dieser unbarmherzigen Mauer aus Autos. Hinter ihm hupt ein Fahrer. Danny schreit irgendein Schimpfwort. Aber ein harter Schnitt würgt seinen Schrei abrupt ab.

Einen so konzentrierten, hervorragend besetzten und in jedem Dialog auf die Millisekunde perfekt getimten Film wie Noah Baumbachs The Meyerowitz Stories sieht man nicht oft. Einen auf so kluge Weise liebevollen auch nicht. Der Drehbuchautor und Regisseur Noah Baumbach ist seit der melancholisch-schönen New Yorker Hipster-Studie Frances Ha berühmt für diese Art von Film: Minimum an Handlung, irgendwie Indie und von lakonischer Emotionalität.

Der gekränkte Patriarch teilt vor allem gegen seine Kinder aus

In den Meyerowitz Stories geht es um die drei erwachsenen Kinder von Harold Meyerowitz. Der ist ein alter Bildhauer, erfolgreich genug, dass er ein Townhouse in New York besitzt, aber zu irrelevant als dass die Kunstszene ihm noch glamouröse Vernissagen ausrichten würde. Die bekommen jetzt andere. "Machen Sie noch Kunst?" fragt ihn ein Kurator auf der Ausstellungseröffnung eines Freundes. Harold antwortet ihm nicht. Dass er und Danny als Einzige im Smoking gekommen sind, während alle anderen teuer, aber eben casual gekleidet sind, fasst auf schmerzhafte Weise ins Bild, wie sehr die Zeit über Harold Meyerowitz hinweggezogen ist. Dustin Hoffman spielt Harold als grundgekränkten, verbitterten Patriarchen, der ohne Unterlass druckreife Seitenhiebe verteilt. Die richten sich vor allem gegen seine beiden Kinder aus zweiter Ehe, den frisch geschiedenen, arbeitslosen Danny und dessen Schwester Jean, die Elizabeth Marvel mit einer interessanten Mischung aus Härte und schüchterner Verdruckstheit spielt.

Nur Matthew, der jüngere Sohn, gespielt von Ben Stiller, genügt Harolds Erwartungen einigermaßen - auch wenn Harold Matthew für dessen Fähigkeit, als Finanzberater sehr viel Geld zu verdienen, zwar bewundert, aber auch ein bisschen verachtet. Unter dieser Bevorzugung Matthews wiederum leidet Danny, obwohl er seinen Bruder liebt und ihm gern näher wäre. Jean hätte gern überhaupt etwas Aufmerksamkeit - und alle drei leiden unter ihrem dominanten Vater, der nie Zeit für sie hatte, als sie Kinder waren, und der jetzt trotzdem über jede ihrer Entscheidungen urteilt, als seien sie seine Assistenten.

All diese über Jahrzehnte angestauten Verletzungen, Frustrationen und unbefriedigten Sehnsüchte gibt es in jeder Familie. Aber Baumbachs Dialoge sind natürlich viel präziser und witziger als die eigenen Streitereien am Kaffeetisch es je sein könnten. Im letzten Drittel des Films, das an Harolds Krankenbett spielt, schafft er es sogar, rührend zu sein, ohne je ins klassische Familiendrama-Pathos abzugleiten.

The Meyerowitz Stories gehört mit seiner Langsamkeit und der Konzentration auf die Feinheiten im Gefühlsleben seiner Figuren zu einer Sorte Film, wie man sie im amerikanischen Kino heute nur noch sehr selten zu sehen bekommt. Es ist wunderbar, dass der Streamingdienst Netflix sich mit seinem Mut zur Nischenproduktion dieser Gattung angenommen hat. Es könnte sich gelohnt haben - der Film und der wirklich grandiose Adam Sandler werden bereits als Oscar-Kandidaten gehandelt.

The Meyerowitz Stories, bei Netflix.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3707214
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.10.2017/khil
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.