Süddeutsche Zeitung

"The Good Doctor" bei Sky:Kann ein Autist Menschen retten?

Dr. House hat einen Nachfolger: In der Krankenhaus-Serie "The Good Doctor" muss ein junger Chirurg jeden Tags aufs Neue beweisen, dass er ein guter Arzt sein kann - trotz Krankheit.

Von Ekaterina Kel

Ein typischer Fernseh-Arzt ist Shaun Murphy sicher nicht. Kein Landarzt auf der Alm etwa, der alten Damen hilft. Kein Clooney-Typ, der reihenweise Patientinnen aufmuntert. Weshalb der Titel der neuen US-amerikanischen Serie The Good Doctor voll in die Kerbe der Ironie trifft. Shaun Murphy (Freddie Highmore) ist Arzt, genauer: Chirurg. Und obwohl er medizinisch spitze ist, muss er jeden Tag aufs Neue beweisen, dass er ein guter Arzt sein kann. Seine Kollegen trauen ihm nichts zu - denn Murphy ist Autist.

Sich mithilfe eines makellosen fotografischen Gedächtnisses alle Blutgefäße im menschlichen Körper merken, das kann Dr. Shaun Murphy mit seiner Inselbegabung besonders gut. Was er nicht so gut kann: kommunizieren, anderen Menschen in die Augen schauen, Ironie verstehen, Emotionen interpretieren. "Klingt das nach einem Chirurgen?", fragt der Chefarzt in den ersten Minuten der ersten Episode. Denn es gehört weit mehr zu diesem anspruchsvollen Beruf als gut operieren zu können. Der Umgang mit Kollegen und Patienten ist essentiell.

In der Pilotfolge von The Good Doctor tauchen die Zuschauer ein in eine Vorstandssitzung des Krankenhauses. Eine moralisierende und polarisierende Diskussion: Soll der Autist Shaun Murphy über Leben entscheiden können? Wenn ja, übersteigt der Appell nach Fairness nicht die Grenzen des gesunden Verstands? Und wenn nein, unterstellt man dann Murphy pauschal, nicht geeignet zu sein, ohne ihm eine Chance gegeben zu haben? Man spürt schon zum Einstieg: Hier geht es um ganz große Dilemmata.

Sozial gnadenlos inkompetent

Der Kopf hinter The Good Doctor ist David Shore. Mit Dr. House hat er schon einmal eine Serie einem genialen, aber streitbaren Arzt gewidmet. Bei Dr. House hat der Zuschauer gelernt, zusammen mit der Hauptfigur über moralische und medizinische Probleme zu grübeln. In The Good Doctor wandelt Shore das Konzept etwas um, die scheinbar unlösbaren Fragen stellen sich nun nicht mehr auf der Handlungsebene. Vielmehr steht über der Serie die übergeordnete Frage: Kann jemand, der mit Menschen auf sozialer Ebene nicht viel anfangen kann, ihre Leben retten?

Zumindest schreckt der junge Murphy vor nichts zurück, um es zu versuchen. An seinem ersten Arbeitstag im Krankenhaus im kalifornischen San José kommt er jedenfalls katastrophal zu spät - weil er nach einem Unfall am Flughafen einem Jungen noch die Lunge reparieren muss. Auf dem Boden der Ankunftshalle. Mit einem Cutter. Nachdem er das Leben des Jungen gerettet hat, wollen die erleichterten Eltern den Virtuosen umarmen. Doch für solchen sozialen Firlefanz hat Murphy nichts übrig.

Gespielt wird der sozial gnadenlos inkompetente Murphy vom britischen Schauspieler Freddie Highmore, der als kleiner Junge mit Wuschelkopf und blauen Augen in Finding Neverland seinen Durchbruch in Hollywood schaffte. Mit seinen nun 25 Jahren weiß er sehr gut auf das Vermögen seiner Unschuldsmiene und seines wohlerzogenen Lächelns zu setzen. Attribute, die ihm dabei helfen, mit kindlicher Hingabe einen Autisten zu spielen.

Autismus ist in Serien gerade beliebt. Parenthood begleitet einen autistischen Jungen von der Diagnose mit vier Jahren bis zur Pubertät, in Atypical wird das Leben eines autistischen Teenagers ins Zentrum gerückt. Und in einschlägigen Fan-Foren wird seit langem darüber diskutiert, ob die Figur des Sheldon Cooper von Big Bang Theory autistisch sei.

Arrogante Ärzte beugen sich über Organ-Attrappen

Abgesehen von diesem aktuellen Thema, knüpft The Good Doctor eher an die gute alte Tradition der Krankenhaus-Serie an - mit Menschen in bläulichen Baumwollklamotten und mit Organ-Attrappen, über die sich arrogante Ärzte beugen. Es gibt strenge Hierarchien, an denen junge Aspiranten immer wieder scheitern, beziehungsunfähige Kollegen, die sich ineinander verlieben, verstohlene Bettgeschichten in Ruheräumen zwischen zwei OPs. Nicht zu vergessen: der unnachgiebige, hinterlistige Chef und die wohlwollende Vaterfigur, die sich, zumindest was Murphy angeht, niemals einig werden.

Bei der Auswahl der medizinischen Fälle und Patientenschicksale setzen Shore und sein Team ebenfalls auf Klassiker des Genres. Eine Frau mit bösartigen Tumor, die womöglich die Hochzeit ihres Sohnes nicht mehr erleben wird. Ein kleines Mädchen mit Bauchschmerzen, dessen Eltern ständig streiten und deshalb die Anzeichen einer lebensgefährlichen Darmverdrehung bei ihrer Tochter übersehen.

Trotz der inflationär eingesetzten Szenen in Slow-Motion und dramatischer Streicher-Begleitung ist The Good Doctor eine solide Serie, die alle Voraussetzungen hat, um süchtig zu machen. Weil es den Machern gelingt, die altbekannten Elemente einer Krankenhaus-Serie mit dem außergewöhnlichen Einzelschicksal eines jungen Autisten zu verbinden. Und weil mit jeder Folge die Lust daran wächst, den unnahbaren Shaun Murphy besser zu verstehen - auch wenn genau das wegen seiner Krankheit im letzten Moment immer wieder zu scheitern droht.

The Good Doctor, abrufbar bei Sky

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3812414
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/doer/rus
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.