Süddeutsche Zeitung

Debatte über Netflix-Serie:Die Wahrheit, nichts als die Wahrheit

Die meisten Royals werden in der Netflix-Serie "The Crown" nicht besonders schmeichelhaft dargestellt - die Macher haben sich außerdem einige Freiheiten im Umgang mit der Geschichte genommen. Aber ist das so schlimm?

Von Claudia Fromme

Als die Königin das Drama um den Prince und die Princess of Wales nicht mehr ignorieren kann, eilt sie zu ihrer Tochter Anne aufs Land. Den "wahren Zustand" der Ehe von Charles und Diana wolle sie erfahren, drängt sie. Anne fragt zurück: "Die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit?" Die Queen nickt schockstarr. Und Anne erzählt genüsslich von Dianas Seitensprüngen, die von geheimen Drehtüren begünstigt würden, sie berichtet von Charles' Affäre mit Camilla, die floriere und von der jeder wisse. Sie schließt mit den Worten: "Leider ist die Ehe der Wales ein seltenes Beispiel für etwas, das tatsächlich schlimmer ist, als die Presse berichtet."

Diese Szene aus der vierten Staffel der Netflix-Serie The Crown ist ein schöner Anker für all die Aufgeregtheiten, die seit dem Start der neuen Episoden am 15. November über das Königreich schwappen. Wie viel Wahrheit steckt in der Serie? Wie viel Unwahrheit verträgt sie? Und was ist überhaupt die Wahrheit, wenn traditionell so wenig aus dem britischen Königshaus nach draußen dringt?

Der britische Kulturstaatssekretär Oliver Dowden forderte in der Mail on Sunday, dass vor jeder Folge der Hinweis stehen soll, dass sie Fiktion ist. Ansonsten könne eine "ganze Generation von Zuschauern, die die tatsächlichen Ereignisse nicht mehr persönlich miterlebt hat, die Fernsehserie mit der Realität verwechseln", sagte der königstreue Politiker dem königstreuen Blatt. Die Monarchie könne Schaden nehmen. Netflix kommentiert den Vorstoß nicht.

Festzuhalten ist, dass es nicht Aufgabe einer Serie ist, die Monarchie zu stärken. Festzuhalten ist aber auch, dass die meisten Royals nicht besonders schmeichelhaft dargestellt werden in dieser Staffel, was bei manchen Zuschauern dazu führen kann, ihnen auch im echten Leben Vorbehalte entgegenzubringen. Camilla erreicht seit Start der Serie eine Flut von wüsten Schmähungen in sozialen Netzwerken.

Eine klassische Soap, die allerdings eine sehr besondere Familie zum Thema hat

Charles neidet in The Crown seiner Frau garstig ihre öffentliche Beliebtheit, hat am Tag vor der Hochzeit Bettkontakt mit Camilla, die Diana zuvor in ein Restaurant mit dem schönen Namen "Ménage-à-trois" einlädt. Die biedere Anne sieht die feenhafte Di als Bedrohung. Die Queen ist empathisch, zeigt aber pflichtbewusst kein Herz für die Leiden der jungen D.

Ein ziemlicher Sauhaufen eigentlich. Scharf dagegen geschnitten: Diana, die doch nur ein wenig geliebt werden will. Von den Royals, von ihrem Mann. Das passiert nicht, also wird sie praktisch in Affären gezwungen und muss immer gucken wie ein scheues Reh.

The Crown ist eine klassische Soap, die allerdings eine sehr besondere Familie zum Thema hat (mit der einflussreichsten Monarchin der Welt), sehr teuer war (allein die erste Staffel soll 130 Millionen Dollar gekostet haben) und von sehr vielen Menschen gesehen wird (in der ersten Woche waren es 29 Millionen). Es ist sehr nachvollziehbar, dass manche genau hinschauen, was in der Serie vor sich geht.

Kritik an The Crown gab es auch vorher, die Serie läuft seit 2016. Historiker monierten fehlende Akkuratesse, Monarchisten stießen sich daran, dass die Windsors wie weltfremde Snobs dargestellt werden. Auch in dieser Staffel schraubt Drehbuchautor Peter Morgan an der Wahrheit, wie es ihm gefällt und der Story dient. Die jahrelange Funkstille zwischen Charles und Camilla nach der Hochzeit mit Diana ignoriert er ebenso wie den Umstand, dass Margaret Thatcher firm war im höfischen Protokoll und eine Bewunderin der Queen. Im Film sucht sie den Streit mit Elizabeth II. und tapert in stahlblauen Pumps und Mantelkleid in den Revieren Balmorals herum. Die zögerliche Haltung der Königin zum Militäreinsatz auf den Falklandinseln ist historisch nicht belegt. Aber muss sie das? Im Podcast zur Serie erklärt Morgan, dass er "manche Szenen" erfunden habe, um Gefühle zu dramatisieren, die wirklich in der königlichen Familie existierten.

Im Kern geht es den Kritikern um die Deutungshoheit über Dianas Leben

Die ersten drei Staffeln von The Crown waren dramatisierte Geschichtsstunden. Die vierte spielt nun in einer Zeit, 1979 bis 1990, die viele Zuschauer selber erlebt haben, sodass sie mitreden können. Und das tun sie. Hofberichterstatter, Historiker, ehemalige Palastangestellte, die alle mindestens ein Buch über das Königshaus geschrieben haben, weisen Morgan in seine Schranken. Vordergründig geht es um falsche Geschichte(n). Im Kern aber geht es um: die Deutungshoheit über Dianas Leben und Leiden bei Hofe.

Auf welcher Seite er steht, daraus macht der Autor keinen Hehl: Peter Morgan ist erklärter Republikaner. Von ihm ist überliefert, dass er keinen Wert darauf lege, die Queen kennenzulernen und falls doch, würde er ihr sagen: "Sie sind kalt, Sie sind engstirnig, Sie sind arrogant, Sie sind verloren, und genau das werde ich beschreiben." Ungeachtet dessen nahm Morgan die royale Ehrung zum Commander of the British Empire (CBE) entgegen. Das war allerdings vor dem Start der Serie The Crown.

Die Wahrheit, die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit? Warum eigentlich? "Denn der Geschichtsschreiber und der Dichter unterscheiden sich (...) darin, dass der eine erzählt, was geschehen ist, der andere, was geschehen könnte", erklärte bereits Aristoteles in seiner Poetik. Die Fiktion ist eine Nachahmung mit eigener Freiheit, um den Zuschauer leichter begreifen zu lassen. In der Tragödie - und das war die Ehe von Charles und Diana - müssten gemeine Menschen noch gemeiner dargestellt werden, "als sie in Wirklichkeit sind". Und edle noch edler.

Peter Morgan hat sich die künstlerische Freiheit genommen, sich von der Wahrheit zu entfernen. Dem Entertainment dient das sehr. Der Erfolg von The Crown basiert allerdings auch auf einer meisterlichen Imitation der Realität: Die Schauspieler ähneln den wahren Royals, die opulenten Kulissen den echten Palästen, die Kostüme sind akkurat bis hin zu Dianas berühmtem Schäfchenpulli. Die Story dagegen ist ein sehr freier republikanischer Kommentar auf die Monarchie. Oder das Leben bei Hofe, wie es gewesen sein könnte. Der Entwurf einer Möglichkeit bewegt die Massen mehr als die Fakten.

Als Charles in The Crown anbietet, sich von Diana zu trennen, lehnt Camilla Parker Bowles ab. Um die Hauptrolle in einem Märchen zu spielen, sagt sie, müsse man jemand sein, dem Unrecht widerfahren sei, ein Opfer. Diana werde die Siegerin sein, nicht sie. ,,Im Wettstreit von Märchen und Realität wird das Märchen immer gewinnen." Ob nun mit einem Hinweis, dass es ein Märchen ist, oder ohne.

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