"The Act of Killing" auf Arte:Musical aus der Hölle

Lesezeit: 2 min

"The Act of Killing:" Mordspiel vor der Kamera. (Foto: Drafthouse Films)

Selten hat man das wölfische Gesicht des Menschen so unverstellt gesehen: Vor knapp 50 Jahren verübten Paramilitärs in Indonesien ein Massaker an Hundertausenden Menschen. Die Doku "The Act of Killing" zeigt die Schergen von damals, wie sie in Rollenspielen ihre Bluttaten nachstellen.

Von Martina Knoben

Der Film ist ein Höllentrip, aber es wird viel gelacht. Gerade hat Anwar Congo, ein kluger, gut gekleideter älterer Herr, der etwa 1000 Menschen eigenhändig ermordet hat, einem Freund und Ex-Kollegen die Drahtschlinge um den Hals gelegt, ganz konzentriert, damit die Tötungsmethode ja richtig rüberkommt, da beginnt er auch schon zu tänzeln. "Um das alles zu vergessen, habe ich angefangen, gute Musik zu hören", sagt er. "Ein bisschen Alkohol, ein bisschen Marihuana, ein bisschen Ecstasy, und ich konnte fliegen." Und er tänzelt federleicht in seiner weißen Hose und dem grünen Hemd. Völlig losgelöst.

Der junge amerikanische Filmemacher Joshua Oppenheimer, von dessen jüdischer Familie einige Mitglieder durch die Nazis ermordet worden sind, wollte einen Film über den Militärputsch in Indonesien 1965 drehen. Damals waren mehr als eine Million Menschen von paramilitärischen Truppen gefoltert oder getötet worden - in der indonesischen Gesellschaft ein Tabuthema.

Als Oppenheimer mit Opfern sprechen wollte, sei er bedroht worden, hat er erklärt. So entschied er sich, die Mörder reden zu lassen. Und mehr als das: Die Killer durften einen Film über sich selbst inszenieren, Mord, Brandstiftung, Erpressung und Folter vor der Kamera nachspielen.

Das Ergebnis ist schier unglaublich, ein Musical aus der Hölle in exotisch bunten Farben. Die Grenzen von "echt" und "gespielt" verwischen, wenn die Täter noch einmal jene Macht und Gewalt genießen, die sie damals ausleben konnten, und die Opfer das grenzenlose Entsetzen wieder spüren, das sie fühlten. Dabei tun sich die Täter keinen Zwang an, erzählen offen und gut gelaunt von Folter und Massakern. Das wölfische Gesicht des Menschen, den grenzenlosen Behauptungswillen von Männern, hat man selten so unverstellt gesehen.

Oppenheimer lässt die Mörder recht frei agieren. Er kommentiert nicht und wertet nicht, lediglich die kluge Montage gibt Denkwege vor. The Act of Killing wurde deshalb immer wieder heftig diskutiert. Die Begegnung des Dokumentarfilms mit der Wirklichkeit hat Oppenheimer jedenfalls auf eine neue Ebene geführt. Er bekam dafür einen Europäischen Filmpreis, seine Doku war auch für den Oscar nominiert.

Am Ende geht es auch um das Kino, das aus dem Töten immer wieder eine geile Show macht. Gangsterfilme haben die Killer zu ihren Mordmethoden und Kostümen inspiriert. Wenn sie ihre Verbrechen nachstellen, folgen sie ebenfalls bekannten Genremustern. Über das Mordspiel (ausnahmsweise in der Opferrolle) erfährt zumindest einer der Täter etwas Mitgefühl mit seinen Opfern. Er spürt, was sie gespürt haben und bricht zusammen. Das Kino ist schließlich beides - Horror- und Erkenntnismaschine zugleich.

The Act of Killing, Arte, 23 Uhr.

© SZ vom 18.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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