Süddeutsche Zeitung

70 Jahre Testbild:Vom Lückenfüller zur Design-Ikone

Lesezeit: 3 min

Am 12. Juli 1950 strahlte der Nordwestdeutsche Rundfunk zum ersten Mal ein Testbild im Fernsehen aus. Über ein Relikt, das technisch nicht mehr gebraucht wird. Aber geliebt.

Von Oliver Klasen

Sag noch einer, das Testbild, erfunden in der buchstäblich grauen Vorzeit des Fernsehens, braucht niemand mehr. Neulich war es sogar auf Facebook! Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer hatte es ausgewählt, um zu signalisieren, dass er Urlaub nehmen und sich um seinen neugeborenen Sohn kümmern würde. "Sendepause" stand in der weißen Fläche in der Mitte des Testbildes, dort, wo früher normalerweise der Sendername zu lesen war. So hatte das Testbild nach langer Zeit wieder mal einen prominenten Auftritt.

Am 12. Juli 1950, vor 70 Jahren also, strahlt der Nordwestdeutsche Rundfunk, der später in die Sender NDR und WDR aufgeteilt wird, zum ersten Mal ein Testbild aus. Ein durchgehendes Fernsehprogramm gibt es da noch nicht, die Tagesschau etwa geht erst zwei Jahre später auf Sendung. Die Testbilder in der Anfangszeit des Fernsehens sind schwarz-weiß. Buchstaben, Zahlen, Linien und Kästchen, komplexe geometrische Gebilde. Ein bisschen wie ein Sehtest beim Optiker, und so etwas Ähnliches ist es ja auch, ein Sehtest für Fernsehempfangsgeräte.

"Das Testbild war ein Platzhalter, mit dem der Fernsehservicetechniker die Funktionsfähigkeit überprüfen konnte. Das war wichtig in Zeiten, in denen nur zwei Stunden pro Tag gesendet wurde und man über weite Strecken kein richtiges Programm hatte", sagt Klaus Merkel am Telefon. Merkel ist Ingenieur beim Institut für Rundfunktechnik (IRT) in München, einer Institution, die in einem unscheinbaren Nachkriegsbau ganz hinten auf dem Gelände des Bayerischen Rundfunks in München-Freimann untergebracht ist. Gegründet wurde das IRT 1956, da hatten bereits zwei Vorläuferorganisationen einige Jahre an Testbildern gearbeitet. Momentan steht das IRT vor einer ungewissen Zukunft. Nach einem jahrelangen Rechtsstreit um Patentrechte und Managementfehler in der damaligen IRT-Führung haben alle bisherigen Gesellschafter, darunter die ARD-Sender und das ZDF, zum Jahresende gekündigt. Das Institut kämpft darum, sie zurückzugewinnen.

Unstrittig ist, dass ohne die Ingenieurarbeit des IRT weder die Testbilder hätten weiterentwickelt werden können, noch Jahre später der Videotext entstanden wäre. Im IRT lagert auch ein Bildarchiv aus der Zentraltechnik eben jenes Nordwestdeutschen Rundfunks, in dem sich unter anderem Dutzende historische Testbilder befinden.

Wenn Klaus Merkel über die Geschichte des Testbildes erzählt, dann ist das zugleich eine Geschichte der alten Bundesrepublik. Sie beginnt in den Fünfzigerjahren, als die Testbilder noch von Hand auf Pappe montiert und vor eine Kamera oder in einen Dia-Abtaster gelegt wurden, "mit all den Verzerrungen und Fehlern, die diese Geräte mit sich brachten", sagt Merkel. Einige Jahre später wurden die Testbilder elektronisch erzeugt. So konnten Helligkeitswerte, Schärfe, Bildgeometrie und andere Parameter der damals üblichen Röhrenfernseher genauer überprüft und eingestellt werden.

Mitte der Sechzigerjahre wurden die Testbilder farbig. Der dänische Ingenieur Finn Hendil entwickelte 1966 für die Firma Philips das Testbild PM5544, jenen Grundtypus, der in Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder Australien zum Einsatz kam. In Deutschland jedoch war das FuBK-Testbild vorherrschend, häufig unterlegt von einem penetranten 1-Kilohertz-Ton. FuBK steht für Funkbetriebskommission, ein Gremium, das einst dem Bundespostministerium zugeordnet war.

Dieses Testbild, gezeigt nachts nach Sendeschluss oder tagsüber in der Sendepause, bestand aus einem grau-weißen Gittermuster am Rand und mehreren, nebeneinander angeordneten Farbfeldern in der Mitte, darunter die sogenannte Grautreppe und ein Sägezahn-Muster aus schwarzen und weißen Linien, die zur Schärfeeinstellung dienten. Dazu ein bildschirmfüllender Kreis mit dünner weißer Linie.

Im Internet kann man sich eine Dokumentation ansehen. Eine Stunde und zehn Minuten für Liebhaber des Testbildes. Darin erfährt man, dass es im Analogzeitalter Menschen gab, DXer genannt, die weit entfernte Fernsehsignale aufspürten, Hunderte Testbilder exotischer Sender archivierten, auf Fotos ausdruckten, später auf Festplatten speicherten. Der weiße Kreis im FuBK-Testbild ist auch länger Thema. Beim in der DDR gängigen Testbild sei dieser Kreis zu klein gewesen, um die Bildgeometrie einstellen zu können, befindet der, das lässt sich gut heraushören, aus dem Osten stammende Hobby-Testbildexperte. Das West-Testbild sei in dieser Hinsicht besser gewesen.

Genützt hat das trotzdem nichts. In den Neunzigerjahren stellen alle Fernsehsender die regelmäßige Übertragung des Testbildes ein. Das 24-Stunden-Programm hat es als Pausenfüller obsolet gemacht. Technisch gebraucht wird es nicht mehr, geliebt wird es dennoch. Nostalgiker drucken sich das Testbild-Emblem auf T-Shirts und feiern es als Exempel visionären Grafikdesigns, ja als Kunst. "Wenn sich einer für Miró begeistern kann, dann vielleicht auch für das Testbild", sagt IRT-Experte Merkel, und tatsächlich hat der Österreichische Rundfunk das Testbild schon 1994 scherzeshalber in eine Reihe mit Rembrandt, Rubens und Renoir gestellt. Titel der Sendung: 1000 Meisterwerke.

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