"Terror - Ihr Urteil" in der ARD:Die TV-Zuschauer stimmen gegen das Grundgesetz

Er spielte schon Jesus und jetzt den heldenhaften Kampfpiloten: Florian David Fitz ist nicht ganz unschuldig daran, dass die große Mehrheit der ARD-Zuschauer nach dem Film "Terror" für den Freispruch plädiert.

TV-Kritik von Ruth Schneeberger

Er hat schon Jesus gespielt, auch das ziemlich überzeugend: Florian David Fitz, 41, ist eine der Wunderwaffen des deutschen Fernsehens und das weiß er auch. Am Montagabend ließ die ARD als großangekündigtes "TV-Ereignis" die Zuschauer darüber abstimmen, ob der fiktive Held aus dem Theaterstück "Terror" von Ferdinand von Schirach, ein Soldat namens Lars, freigesprochen oder wegen Mordes verurteilt werden soll.

Die Handlung in der fürs TV adaptierten Version: Der junge Elitesoldat, ein stolzer Kampfflieger und gewissenhafter Verteidiger seines Vaterlandes, soll eine von Terroristen entführte Lufthansamaschine im Einsatz beobachten. Sein Vorgesetzter verweigert den Befehl zum Abschuss - doch der Soldat, gespielt von Fitz, widersetzt sich. Und schießt die Maschine ab. 164 Menschen kommen dabei ums Leben, alle Insassen. Dafür kommen 70 000 Menschen in der Münchner Allianz-Arena, das Ziel des Anschlags, mit dem Leben davon.

Dutzende Menschen töten, um Zehntausende zu retten - darf man das? Nie und nimmer auf dem Boden unseres Grundgesetzes, erregte sich schon vor der Ausstrahlung der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum und wollte gar die Absetzung der Sendung samt Zuschauerabstimmung erwirken.

Der ungehorsame Soldat

Der Hintergrund: Baum und sein FDP-Kollege Burkhard Hirsch hatten 2005 gegen das von Rot-Grün gerade neu eingeführte Luftsicherheitsgesetz geklagt, das im Falle einer Flugzeugentführung durch Terroristen den militärischen Abschuss erlaubt hätte - und damit auch die Tötung unschuldiger Menschen. Das Bundesverfassungsgericht gab Baum und Hirsch recht - weil ein Menschenleben nicht gegen ein anderes aufgewogen werden dürfe, gemäß Artikel 1 des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar".

Wie schwierig aber die Umsetzung des Gesetzes im konkreten Fall sein kann, das zeigt das Kammerstück von Lars Kraume als Regisseur und Oliver Berben als Produzent ganz vorbildlich: Der Soldat widersetzt sich den Befehlen seines Vorgesetzten - aus moralischen Gründen. Er fühlt sich verantwortlich für die größere Anzahl der zum Opfer auserkorenen, die er noch retten kann. Und entscheidet sich binnen Minuten, dafür die todgeweihten Flugzeuginsassen zu opfern. Aber waren sie wirklich todgeweiht oder hätten die Passagiere die Terroristen im Flugzeug noch überwältigen können?

Die mühsam errungene Verfassung

In dem grandios besetzten Stück übernimmt die großartige Jördis Triebel den Part der wütenden Hinterbliebenen eines Opfers, die dem Piloten ihre Wut und Verachtung, ihre Trauer ins Gesicht spuckt. Stolz und verletzlich zugleich. Ihre Aussage vor Gericht ist einer der Momente, in denen die Zuschauer hin- und hergerissen werden in ihrem Urteil. Auch Martina Gedeck als Staatsanwältin verdeutlicht insistierend nicht nur dem Angeklagten, sondern auch dem Zuschauer den nötigen Respekt vor der gerade in Deutschland so mühsam errungenen Verfassung.

Lars Eidinger, mal nicht nackt

Ein weiterer Kunstgriff der Macher: Lars Eidinger als Verteidiger. Ausnahmsweise mal nicht nackt, dafür teils seiner Robe entledigt und mit dem nötigen Pfiff als Querdenker ausgestattet, gelingt ihm die Verteidigung des hochbrisanten Mandanten nicht mühelos, aber vorzüglich. Einzig auf das Herumrennen im Gerichtssaal hätte die Regie verzichten können. So etwas gibt es an deutschen Gerichten nicht, ganz anders als in den USA. Der wunderbare Burghart Klaußner, der Schirachs Stück auch schon selbst am Theater inszeniert hat, übernimmt hier die Rolle des mäßigenden Richters.

Und dann kommt Plasberg. Als sei dieser Urteilsspruch wirklich von politischem Belang, hüpft der "Hart aber fair"-Moderator im Anschluss an den Spielfilm aufgeregt durch sein Studio - man könnte fast meinen, es hätte noch nie ein Fernsehpublikum über ein Urteil abgestimmt. Dabei befragte das ZDF seine Zuschauer einst jahrzehntelang "Wie würden Sie entscheiden?" und die Gerichtsshows der Privaten sind ebenfalls seit Jahrzehnten nicht totzukriegen. Neu ist nun, dass das Publikum wirklich entscheiden darf - und der Richter im Anschluss das Urteil des Volkes verkündet.

Technische Probleme beim Voting

Doch die so wortgewaltig verkündete Neuerung krankt - wie so oft im öffentlich-rechtlichen TV - a bisserl an der Umsetzung: In den paar Minuten nach der Sendung, in der die Leitungen für die Wahl zwischen "schuldig" oder "nicht schuldig" freigeschaltet waren, kamen viele Anrufer wegen einer technischen Störung nicht durch; auch die Internetseite war schlecht zu erreichen.

Bleibt diese ganz besondere Plasberg-Sendung: Dort bekämpfen sich nach Volkes Urteilsspruch Baum (FDP) auf der einen und Franz Josef Jung (CDU) als ehemaliger Verteidigungsminister auf der anderen Seite ziemlich munter - mal befeuert durch einen echten ehemaligen Kampfjet-Flieger der Bundeswehr (Thomas Wassmann: "Ich würde in dieser Situation auch schießen"), dann wieder beruhigt durch die zukünftige Bischöfin von Hannover, Petra Bahr ("In solchen Extremsituationen gibt es kein Richtig und Falsch"). Jung hatte 2006 in Brüssel vor Journalisten erklärt, dass er trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts Passagierflugzeuge durch die Luftwaffe abschießen lassen würde, wenn diese entführt und zu Angriffen benutzt würden - mit Verweis auf einen dann "übergesetzlichen Notstand".

Terrorismus und Verantwortung

Die Diskussion ist heute brandaktueller denn je. Der Terrorismus hat in diesem Sommer Deutschland erreicht, ein Terrorverdächtiger hat sich jüngst in Sicherheitsverwahrung das Leben genommen. Auch dieser Fall erregt die Öffentlichkeit in einem Maße, der bisweilen das Maß vermissen lässt. Der Hintergrund ist eine Mischung aus Angst, politischer Instrumentalisierung und dem dringenden Wunsch, jemanden zur Verantwortung zu ziehen für das, was passiert.

Genau solche Debatten rückt "Terror - Ihr Urteil" gezielt in den Mittelpunkt und lässt das Volk darüber verhandeln. Dass die Fernsehzuschauer mit überragenden 86,9 Prozent für einen Freispruch plädiert haben (nur 13,1 Prozent votierten für "schuldig", genau wie in Österreich, die ebenfalls dazu befragte Schweiz plädierte zu 84 Prozent für den Freispruch des Piloten), liegt auch an dem gefühligen Medium TV als Stimmungsverstärker - und nicht zuletzt an Schauspieler Fitz, dem man als Zuschauer einfach nichts übel nehmen kann. Die Versuchsanordnung, alle Sympathien gleich zu verteilen, ist da nicht ganz gelungen.

Dass Schirachs Stück im Theater weit weniger eindeutige Freisprüche liefert (das Verhältnis ist dort eher 60 Prozent Freisprüche zu 40 Prozent Schuldsprüchen) spricht dafür. Die These, die nun allenthalben empört geäußert werden wird, dass das Volk einfach nicht zur Volksabstimmung tauge, kann also getrost wieder verworfen werden. Nicht alles und jedes ist eben zur Volksabstimmung gedacht. Und Frank Plasberg ist, so gerne er es vielleicht wäre, nun einmal kein Richter.

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