Dass diese Redaktionskonferenz etwas Besonderes ist, merkt man schnell. Alte Männer und Frauen beugen sich über Seitenlayouts und Produktionspläne, ein weißhaariger Mann wird im Rollstuhl hereingeschoben. Was nicht heißt, dass es hier harmonisch zugeht. Die Versammelten beginnen sofort, heftig über Politik zu diskutieren, eine Abstimmung wird gefordert und ein Arbeitskreis ins Spiel gebracht.
Denn in der Redaktion der tageszeitung in Berlin treffen sich die Leute, die das linksalternative Blatt vor vierzig Jahren basisdemokratisch gegründet haben. Im September 1978 haben sie die Nullnummern zusammengeklebt, an diesem Mittwoch sind sie wiedergekommen, um eine Jubiläumsausgabe der taz zu produzieren.
Dass man die Produktion der Zeitung immer mal wieder Leuten von außen überlässt, hat bei der taz Tradition, es gab Arbeiten von Künstlern oder Karikaturisten, einmal durfte sogar der publizistische Lieblingsfeind der Redaktion, der frühere Bild-Chefredakteur Kai Diekmann, eine Ausgabe stemmen (die interessanterweise zu den kommerziell erfolgreichsten gehörte).
Doch dieser Produktionstag ist in jeder Hinsicht einzigartig. Zum einen aufgrund der Geschichten, die man hört, während die Veteranen Texte redigieren und Überschriften basteln, selbst aus Paris ist ein alter Gründer angereist. Man erfährt, wie die ersten Ausgaben in einer kahlen Fabriketage in Frankfurt entstanden, für Berlin als Redaktionssitz hat man sich (per Abstimmung natürlich) aus eher pragmatischen Gründen entschieden: Weil es in West-Berlin Subventionen und Möglichkeiten der Steuerabschreibung gab. Man hört, dass über jede Kurzmitteilung kollektiv diskutiert wurde und am Ende der Kampf der Sandinisten in Nicaragua auf der Seite Eins landete.
Vor allem aber ist dies ein Aufeinandertreffen von Einst und Jetzt, von Ansichten über Gesellschaft und Journalismus, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie hätten damals keine Zeitung um der Zeitung willen gründen wollen, sagt Gitti Hentschel, die taz sei ein Projekt von vielen gewesen, mit dem man die Gesellschaft auf den Kopf stellen wollte, viele Gründer wurden dann später auch Aktivisten. Sie selbst schrieb für die Frauenseite und ging mit Kolleginnen eine Woche lang in Streik, nachdem in der taz sexistische Texte abgedruckt worden waren.
Ein Geschäftsführer sorgte jüngst mit Gedanken zum Ende der gedruckten "taz" für Aufsehen
Heute sieht man viele Frauen in den Redaktionsräumen, und die Zeitung selbst ist ein professionell gemachtes Medienprodukt, das sich wie alle anderen mit dem digitalen Wandel auseinandersetzen muss. Zuletzt sorgte ein Geschäftsführer mit der Idee für Aufsehen, dass die taz unter der Woche bald nur mehr in digitaler Form erscheinen könnte. Und so ist die Atmosphäre eine Mischung aus Klassentreffen und Zeitzeugen-Projekt. "Wer hätte gedacht, dass es hier mal um gut geschriebene Reportagen geht", sagt ein alter Herr, während er auf ein Video von einst guckt, das über eine Wand flimmert. Man kann nicht sagen, ob er das eher gut oder schlecht findet.