Süddeutsche Zeitung

"Tatort" aus München:Der Hackl beißt wirklich

Lesezeit: 2 min

Ein Fall, der mehr Sozialdrama als Krimi ist. Und auch wenn Bayernspieler Joshua Kimmich im neuen Münchner "Tatort" grüne Shakes mixt - wirklich großartig ist Burghart Klaußner als Querulant.

Von Claudia Fromme

Ein legendärer Moment der Fernsehgeschichte ist bis heute die Szene, in welcher der frühere Bundestrainer Berti Vogts 1999 im Hamburger Tatort ein entlaufenes Kaninchen zurückbringt und dem Besitzer hölzern sagt: "Gib dem Kaninchen eine Möhre extra, es hat uns das Leben gerettet." Später dürfen Oliver Bierhoff, Steffi Jones und Jogi Löw im Ludwigshafener Krimi durchs Bild laufen. Fußball und Krimi, das passt gut zusammen, nicht nur, weil Tatort und Spiel beide 90 Minuten dauern. Wenn die Kiste läuft, hocken viele davor, die sowieso die besseren Trainer sind und den Mörder umgehend kennen, während die Kommissare noch ihre Lesebrillen suchen.

Diesmal spielt Joshua Kimmich vom FC Bayern mit, im Münchner Tatort "Hackl". Er ist der Influencer und Fitnesstrainer Kenny, der in einem Studio im Hasenbergl grüne Shakes mixt. Um die Ecke ist ein junger Mann getötet worden, ein Laserpointer hat ihn auf seinem Motorrad so geblendet, dass die Fahrt seine letzte war. Polizist Kalli (Ferdinand Hofer) ermittelt auch im Studio, worauf Kenny vor allem schweigt, einen grünen Shake reicht und unbewegt sagt: "Hier braucht keiner Angst haben." Vogts Kaninchen-Satz diente vielen als Witzvorlage, für den hier könnte sich eine Punkband interessieren.

Dieser "Tatort" ist das Protokoll einer überforderten Gesellschaft

Wer macht denn so etwas? Den netten Adam so zu blenden, dass er nun tot ist? Da hat jeder in dem Problemviertel so seine Theorie, aber auf einen können sich alle einigen: Johannes Bonifaz Hackl (großartig: Burghart Klaußner). Ein polizeibekannter Querulant in Lederhosen. Als Kommissar Leitmayr (Udo Wachtveitl) mit seinem Kollegen Batic (Miroslav Nemec) im Hasenbergl auftaucht, schreit der Hackl, beleidigt, rennt weg. Er ist kein Grantler, keines der bayerischen Originale, die viel zu mosern haben, aber harmlose Kläffer sind. Der Hackl beißt wirklich. Leitmayr hat eine Narbe von einer früheren Zusammenkunft am Finger.

Es wird ermittelt, es gibt eine überraschende Wendung am Schluss, Kenny schleicht weiter durchs Bild, aber darum geht es nur am Rande. Dieser Tatort von Dagmar Gabler (Buch) und Katharina Bischof (Regie) ist das Protokoll einer überforderten Gesellschaft, bei dem das Sozialdrama stärker ist als der Krimi. Es geht um abgehängte Menschen in einer reichen Stadt, die sich am Ende doch selbst am nächsten sind und schnell auf einen wie den Hackl zeigen, bei dem ja wirklich ständig die Sicherungen durchbrennen. Warum, danach fragt keiner. Zu wem gehört der überhaupt? "Der gehört sich noch selber", sagt der Hackl über den Dackel Ludwig und meint doch sich selbst. Klingt nach Freiheit, ist aber die Einsicht, dass die Gesellschaft für einen wie ihn keinen Platz hat.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

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