Süddeutsche Zeitung

Tatort aus Hamburg:Tod und Tolstoi

Niki Stein hat einen Fall um einen russischen Clan herum entworfen - der wirkt, als käme er gerade aus dem späten Zarenreich.

Von Claudia Tieschky

Dieser Hamburger Tatort enthält die Botschaft: Mehr Tschechow wagen! In der russischen Familie, die hier langsam in den Mittelpunkt rückt, zitiert man nicht nur bei jeder Gelegenheit Tolstoi und Puschkin und geht gemeinsam zur Jagd. Nein, es wirkt buchstäblich so, als seien die Timofejews alle gerade erst aus dem späten Zarenreich in die große Villa nach Hamburg gezogen: die zerbrechlich-schöne Mutter, der fein gekleidete, ideensprühende Erstgeborene, die abtrünnige Tochter, der melancholische Patriarch, der weder den Lauf der Welt noch seiner eigenen bösen Taten aufhalten kann. Und wenn der jüngste Sohn eine Liebschaft für eine Nacht hat, dann nimmt er sie mit in sein Appartement, wo an den Wänden einstiger Glanz hell und birkenfarben abblättert und sie bei Tagesanbruch liebessatt im Kerzenschein am Piano sitzen.

In dieses charmante Arrangement trampeln die Hamburger Ermittler Julia Grosz (Franziska Weisz) und Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) gnadenlos hinein. Allerdings trampeln sie auch nicht so schlimm, dass es zu den schönen Locken und blassen Teints einen reizvollen Kontrast ergeben würde. Die beiden, der straßenerfahrene Lederjackentyp und die tüchtige Blazer-Beamtin, sind als Duo in dieser Folge leider enorm nichtssagend, jeder macht irgendwie sein Ding, vielleicht sind sie nur zufällig im selben Film. Grosz wird zur Hauptkommissarin befördert, aber als Allererstes lässt sie einen verdeckten Ermittler ins Messer laufen, Freund von Falke. Grosz sagt: Ich kündige. Ihre Chefin Reetz sagt: Jetzt lassen Sie doch den Unsinn.

Es geht in der Episode "Macht der Familie" um Waffengeschäfte, Privatjets und konkurrierende Clans. Der rasante Plot scheut keinen Feuerball, führt zwei Mal in die Irre, und die undurchschaubare Familie macht es zum Schluss noch mal spannend. Ein bisschen anstrengend wird es, wenn sich die Geschwister Timofejew bedeutungsschwer den Text aus Anna Karenina abfragen, das wirkt eher gewollt als tiefgründig. Tatiana Nekrasov aber bringt als verdeckte Ermittlerin Mascha aus dem Timofejew-Clan eine kühle Intensität in den Fall und ist hier eindeutig die stärkste Figur.

Niki Stein (Buch und Regie) hat diesem Tatort mit seiner russischen Welt von gestern ein interessantes Kolorit gegeben. Aber das wird Falke und Grosz beim nächsten Mal nicht mehr helfen.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

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