Süddeutsche Zeitung

Tatort Wien "Angezählt":Wiener "Tatort": Tischmädchen

Dieser "Tatort" zeigt, dass das Wienerische manchmal zu charmant ist für den Dreck des Tages. Es geht um Frauen, die wie Wegwerfware behandelt werden - und um die Vergangenheit von Kommissarin Bibi Fellner.

Von Holger Gertz

Das hier ist ein sehenswerter Tatort, es geht um bulgarische Prostituierte in den Randbezirken der Stadt. Die Frauen werden von der Kundschaft begutachtet in Anbahnungskneipen, die hier Tischmädchenlokale genannt werden - manchmal ist das Wienerische einfach zu charmant für den Dreck des Tages, den es beschreibt.

Diese Frauen werden benutzt, kostet ja nicht viel, 30 Euro das Gesamtpaket. Kann allerdings auch sein, dass mal eine verbrannt wird, wie in diesem Fall. 6000 illegale Prostituierte in Wien, nur sechs Polizisten, die sich darum kümmern. Kommissarin Bibi Fellner hatte einer Prostituierten versprochen, sie zu beschützen. Sie hat das Versprechen nicht gehalten. Und das verzeiht sie sich nicht.

Inneres Alleinsein

Bibi Fellner kommt aus kaputten Verhältnissen, das wusste man schon vorher und erfährt diesmal die Details. Das innere Alleinsein der Kommissarin wird verknüpft mit den Zuständen, in denen die verkauften Frauen leben. Wo die Geschichte ins Sentimentale zu kippen droht, verhindern die bemerkenswerten Dialoge Schlimmeres. Gespräch der Kommissare, nachdem ein Verdächtiger ihnen recht weitschweifig etwas über Leben und Tod erzählt hat: Eisner: "Der Kaschperl is a Philosoph." - Fellner: "Naa, a gschissner Zuhälter."

Die Wiener Tatorte gehören zu den Klassikern des Formats, seit Eisner (Harald Krassnitzer) und Fellner (Adele Neuhauser) als Ermittlerpaar zusammenarbeiten. Die Figurenführung ist oft unterentwickelt in Tatorten - bei den überforderten Schweizern wurde der Ermittlerin neulich eine lesbische Affäre ins Buch geschrieben, die schon im folgenden Fall komplett vergessen war.

Geduld und Liebe

Bei den Österreichern sind die Figuren mit Geduld und wohl auch Liebe entwickelt worden, in jeder Episode erschließen sie sich mehr. Der innere Zusammenhang der Episoden erklärt die innere Nähe der Kommissare. Zwei fauchende und strauchelnde Grantler: Nirgendwo sonst erzählen die Ermittler nebenbei so viel über den Charakter ihres Einsatzortes.

Einmal versucht es die Regie mit einer Traumsequenz, Traumsequenzen sollen schwebend wirken, kommen aber immer dröhnend rüber. Traumsequenzen braucht kein Mensch. Das echte Wien ist Traum genug.

Die Süddeutsche Zeitung hat diese Rezension erstmalig am 14.09.2013 veröffentlicht. Anlässlich der wiederholten Ausstrahlung des Tatorts, präsentieren wir Ihnen den Text erneut.

ARD, Sonntag, 20.15 Uhr

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Quelle:
SZ vom 14.09.2013/luc
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