Süddeutsche Zeitung

"Tatort" aus dem Schwarzwald:Fast Nacht

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Der neue Schwarzwald-"Tatort" spielt zur Fasnet. Und obwohl es ja selten ein Gewinn ist, anderen beim Feiern zuzuschauen, ist diese Folge ein sehenswertes Drama um Rausch und Wollust geworden.

Von Cornelius Pollmer

Die Fasnet gehört zum immateriellen Kulturerbe des Landes, wiederum zu ihr gehört allerdings auch alles das, was im Schwarzwald nicht weniger nervt als dort, wo Karneval gefeiert wird oder Fasching. Zu Beginn dieses Tatorts sieht man Menschen tanzen, denen sonst schon die Rollen unter dem Bürostuhl genügend Bewegungsfreiheit bedeuten. Man sieht Menschen, die andere Menschen bedrängen, darunter welche, die besoffen irrglauben, Kostüme könnten Charme und Charakter ersetzen. Bei ihnen gehört zur Tracht die Niedertracht, und ihre Camouflage legt mehr offen, als sie zu verbergen hilft.

Der Film "Ich hab im Traum geweinet" (Regie: Jan Bonny, Buch: ebendieser und Jan Eichberg) spielt in diesem Dunst. Er beginnt nicht mit einem Mord, sondern mit dem, was Bonny einen "potenziellen Mord" nennt, einer hässlichen Schlägerei, auf die formulierte Reue so unmittelbar und noch im Affekt folgt, dass sie kaum echt sein kann: "Ich wollte das nicht."

Fasnet zu feiern oder nicht, ist schon Geschmackssache, anderen dabei zuzuschauen, noch seltener ein Gewinn. Das schadet diesem Film in seinem ersten Drittel, danach aber entwickelt sich ein fast nachtdunkles, sehenswertes Drama um Rausch und Bedrohung und Wollust. Getragen wird es von der herausragenden Musik von Jens Thomas und von bemerkenswerten Einzelleistungen wie die von Darja Mahotkin und Andrei Viorel Tacu. Mahotkin spielt Romy Schindler, die einmal im Escort arbeitete und heute als Schwester in einer Schönheitsklinik, Tacu ihren neuen Freund, der sehr wohl ahnt, dass die Schatten und auch die Männer der Vergangenheit noch immer mächtig wirken. Die Zweierbeziehung zwischen diesen beiden Figuren trägt den Film mehr als die zwischen den Kommissaren Tobler (Eva Löbau) und Berg (Hans-Jochen Wagner). Für beide aber gelten die wunderbaren Zeilen Zarah Leanders, die über die Band Brings und nicht zufällig zu einem Klassiker des Karnevals geworden sind: "Es ist ja ganz gleich, wen wir lieben / Und wer uns das Herz einmal bricht. / Wir werden vom Schicksal getrieben / Und das Ende ist immer Verzicht."

Das Ende ist oft auch im Kleinen Verzicht. So gesehen in eigener Sache: Meine Dienstzeit an der Seite der wunderbaren Kollegen Claudia Tieschky und Holger Gertz endet mit dieser Ausgabe der TatortKolumne, es übernimmt die wunderbare Kollegin Theresa Hein. Wären wir hier in der Fastnacht, man müsste fast fragen: Wolle mer se reinlasse?

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 22.02.2020
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