Süddeutsche Zeitung

Schauspielerin Carol Schuler:Kommissarin mit schüchternen Füßen

Obwohl sie keine Routinen mag, ist Carol Schuler neben "Skylines" bald auch als Ermittlerin im Sonntagabendheiligtum "Tatort" zu sehen. Musikerin ist sie auch noch - ein Treffen in der Karaokebar.

Von Maresa Sedlmeir

Auf der Bühne sieht sie größer aus als im wahren Leben. Selbst, wenn die Bühne winzig ist, wie hier in einer Karaokebar in Berlin-Friedrichshain. Die Schauspielerin Carol Schuler hat ein Treffen dort vorgeschlagen. Es gab mal eine Zeit in ihrem Leben, da spielte die Karaokekultur eine wichtige Rolle. Um neun Uhr abends hat sich die Bar langsam gefüllt, es riecht wie in einer Turnhalle, nach Schweiß und nach Anstrengung. Die Anstrengung, die es viele kostet, sich auf diese Bühne zu stellen, ein paar Takte mit dem Fuß zu wippen und dann einen Song zu performen. In der Bar mischen sich die Hipster mit dem Stammpublikum, alles schaut gespannt auf die Bühne.

Dort steht also Carol Schuler, die neben der Schauspielerei auch verschiedene Bandprojekte hat. Viele werden sie aber vor allem durch das Fernsehen kennen, sie ist aktuell in der Netflixserie Skylines zu sehen und wird von Oktober 2020 an Zürcher Tatort-Kommissarin. Aber auch sie als Profi kostet die Bühne Überwindung: Die Karaokebar sei "eine ganz andere Nummer" sagt sie, als sie kurz vor dem Auftritt auf einer Plastikbank vor der Bühne herumrutscht. Die Cowboystiefel an ihren Füßen schlackern im Takt, vor, zurück, vor, zurück. Sie checkt noch einmal den Songtext auf ihrem Handy.

Als sie auf die Bühne geht, merkt man trotz aller Anspannung: Sie gehört hier hin. Sie reißt die Augen auf, lässt sie zufallen, Beine und Mund tanzen. Das Publikum jubelt ihr zu, sie scheint den Auftritt zu genießen. Wenn sie über sich selber redet, wird ihr das schnell unangenehm. Ein paar Stunden vorher im Café: Sie guckt immer wieder die Straße entlang, knibbelt an ihrer Wange herum und raucht eine Zigarette nach der anderen. "Ich hab' immer ein bisschen Angst vor Interviews. Das ist wie 'ne Verhörsituation, man muss immer sofort 'ne Antwort parat haben, dabei ist am nächsten Tag schon wieder alles anders." Routine mag sie nicht. Alles, was schon einmal da gewesen ist, langweilt sie. Dann muss sie etwas Neues machen. Die einzige Konstante in ihrem Leben ist die Schauspielerei. "Aber die ändert sich ja auch ständig" sagt sie und lacht.

Die 32-Jährige wurde in Winterthur geboren, spielte schon mit zwölf ihre erste Filmrolle im Coming-of-Age-Film Lieber Brad und gewann dafür den Schweizer Filmpreis. Nach einem Auslandsjahr in Japan machte sie ihre Matura in Winterthur, dort sei ihr aber schon früh "die Decke auf den Kopf gefallen", weswegen sie nach Berlin ging und am Europäischen Theaterinstitut studierte. Sie drehte immer wieder, die Miniserie Blochin mit Jürgen Vogel beispielsweise, und gastierte unter anderem am Schauspielhaus Zürich. Seit 2017 ist sie an der Berliner Schaubühne zu sehen.

Ihr Terminkalender ist bis August 2020 voll. Einen großen Teil nimmt da natürlich der Tatort ein. Tatort-Kommissarin im deutschen Fernsehen und zugleich frei sein wollen - ist das nicht ein Widerspruch? Als Kommissarin bindet man sich - im besten Fall - mehrere Jahre. Für Carol Schuler war das "schon ein bisschen Korsett", deswegen hat sie auch lange überlegt. Überzeugt hat sie schließlich das Mitspracherecht: "Man entwickelt die Figur zusammen mit den Autoren, mit der Redaktion, ich kann da viel mehr einbringen." Nur keine Langeweile.

"Ich hasse dieses Wort: authentisch"

Eine dieser "langweiligen Sachen", die sie immer wieder hört, ist für Carol Schuler der Vergleich mit der Sängerin Amy Winehouse. Man kann es nicht abstreiten: die langen schwarzen Haare, die markante Nase, der Lidstrich über den Augen. Ja, man denkt an Amy Winehouse, wenn sie vor einem steht, in einem schwarzen Top, kurzer Jeansshort und den hellbraunen Wildlederstiefeln. Sie sagt: "Ich habe schüchterne Füße."

Deswegen trägt sie immer Stiefel, auch im Hochsommer. Die hier, mit den roten Stickereien, hat sie vor fünf Jahren in einem Secondhandshop gekauft. Mit ihrer rauen Stimme übertönt sie jetzt den Ventilator in der "Karaoke-Booth", einer privaten Kammer von zwei Quadratmetern, in der schon nach fünf Minuten der Schweiß an den Plexiglasfenstern kondensiert. "Ich hasse dieses Wort: authentisch", sagt sie. "Da sitzen dann irgendwelche Leute und erzählen einem, man soll authentisch bleiben. Kannst mir doch nicht erzählen, dass Freddie Mercury nicht authentisch war, der konnte bunte Leggings anhaben und Glitzer-Make-up und war immer noch authentischer als alle anderen. Ich bin am authentischsten, wenn ich spiele."

Es gibt mehrere solcher Kammern in der Karaokebar, sie sind alle unterschiedlich groß und nach berühmten Sängern benannt, sie heißen "Bowie" oder "Kurt C". Außen an den Türen hängen Künstlerporträts. Innen bereiten sich die Besucher, mal allein, mal in Gruppen, auf ihren Auftritt vor. Carol Schuler will einfach nur singen: "Ich such' einen Song für dich aus, du einen für mich", sagt sie, schnappt sich die Tastatur und hackt drauflos. Von Queen über Aretha Franklin, Amy Winehouse ("Ich wusste, dass das jetzt kommt") bis zum Disney-Soundtrack - sie ist sich für nichts zu schade. Sie bricht keinen Song ab und wenn sie nicht mehr genau weiterweiß, freestylt sie einfach. Auch hier, in einer winzigen Karaokezelle, in der niemand sonst sie sehen kann, gibt sie alles. Nach den Songs verteilt sie Highfives, schreit "Yes" und lässt sich auf die goldglitzernde Sitzbank plumpsen.

Die Schauspielerei als Sicherheit

Ist das nicht anstrengend? Bei allem immer mindestens 100 Prozent? Stichwort Burn-out. "Ich war vielleicht knapp davor", sagt sie und lacht wieder ein rachiges Lachen. Trotzdem würde sie es nie anders machen. Wenn die Leute sie fragen, wie sie mit der Unsicherheit in der Schauspielerei lebt, sagt sie: Die Schauspielerei ist meine Sicherheit. "Bei so Alltagssachen ist das anders. Wenn ich in der Küche stehe, bin ich komplett überfordert."

Nur einmal gab es eine Zeit, in der sie mal nicht schauspielern wollte. Mit 14 Jahren, sie hatte gerade den Schweizer Filmpreis bekommen, entschied sie sich, ins Ausland zu gehen. Allein, ein ganzes Jahr lang. "Ich hatte das Glück, dass ich keine karrieregeilen Eltern hatte und machen konnte, worauf ich Lust hab'." Schulers Vater ist Ingenieur, ihre Mutter arbeitet als Fitnesstrainerin. Es ging von Winterthur nach Tottori in Japan. Dort war Schuler mit ihrer Gastfamilie oft in Karaokebars.

Jetzt, fast 20 Jahre später, sitzt sie wieder in einem solchen Schuppen, und sie macht immer noch das, worauf sie eben Lust hat. In ihrer Tasche steckt das Buch "Täterverhalten und Persönlichkeit - Eine empirische Studie zur Anwendbarkeit der Tathergangsanalyse in der forensischen Psychologie und Psychiatrie". Für den Tatort. Auf alle ihre Rollen bereitet sie sich sorgfältig vor. Bei manchen muss sie sich Akzente draufschaffen. Carol Schuler sagt von sich selbst, dass sie keine von denen sei, die jeden Dialekt und Akzent einfach nachmachen können.

Von Rock- und Soulmusik in die Rapwelt

Bei ihr funktioniert das so: Sie lässt jemanden, der den Akzent spricht, Sprachproben aufnehmen, die sie sich dann immer wieder anhört und lernt wie einen Song. Bis sie den Akzent verinnerlicht hat. In der Miniserie Blochin mit Jürgen Vogel hatte sie einen spanischen Akzent, in Skylines spielt sie eine Kurdin, die eigentlich gar nicht rappen kann, aber eine begabte Sängerin ist. Die Musiker Miss Platnum und Bazzazian schrieben einen Song für sie, den sie gemeinsam erarbeitet haben. In die Rapwelt einzutauchen ist Carol Schuler, die selbst eher Rock- und Soulmusik macht, am Anfang schwergefallen, erzählt sie. Aber es ist eben auch: etwas Neues.

Als sie die Karaokekammer verlässt, um eine Zigarette zu rauchen - es ist die erste nach fast zwei Stunden Singen - entdeckt Schuler auf der Zelle gegenüber Janis Joplin. Sie schließt die Tür zur eigenen Karaoke-Booth. Und macht ein Gesicht, als hätte jemand einen schlechten Witz gemacht: Darauf ist Amy Winehouse.

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Quelle:
SZ vom 12.10.2019/sloh
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