"Tatort":Rostock, übernehmen Sie!

Polizeiruf 110: Angst heiligt die Mittel

Am Neujahrstag zeigt das Erste den Rostocker "Polizeiruf 110" mit dem Ermittlerteam Alexander Bukow (Charly Hübner, Mitte) und Katrin König (Anneke Kim Sarnau).

(Foto: Christine Schroeder/NDR/dpa)

Der verschobene Sonntagskrimi wird erneut verschoben - jetzt soll an Neujahr ein "Polizeiruf" laufen, in dem ein Obdachloser ermordet wird, ausgerechnet.

Von David Denk

Programmplanung verkaufen die Senderverantwortlichen gern als eine Art Geheimwissenschaft, die nur wenige Eingeweihte begreifen. Journalisten gehören grundsätzlich nicht dazu. Deren Herumgekrittel an merkwürdig anmutenden Entscheidungen lässt sich mit dieser Prämisse leicht beiseitewischen: Wenn ihr davon sowieso nichts versteht, müssen wir gar nicht erst versuchen, es vernünftig zu erklären. "Aus organisatorischen Gründen" - was auch immer das bedeuten mag - zeige man an Neujahr doch nicht den vorgezogenen Saarbrücken-Tatort "Söhne und Väter", der für den wegen des Anschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt verschobenen Dortmunder Terror-Tatort "Sturm" eingesprungen war, sondern einen Polizeiruf 110 aus Rostock, teilte das Erste am Mittwoch knapp mit. Darin wird - ausgerechnet! - ein Obdachloser misshandelt und ermordet.

Mit der Realitätsnähe von Fernsehkrimis ist das so eine Sache: Einerseits werden besonders authentisch anmutende Fälle als Vorlage für eine Diskussion bei Anne Will gern genommen, andererseits neigen die Verantwortlichen zur vorauseilenden Programmänderung, wenn die Fiktion von der Realität überholt wird. Rücksicht auf Opfer und Angehörige zu nehmen ist nach dem Berliner Anschlag angemessen, absurd aber wird es, wenn nicht nur die Verschiebung eines Films zur Nachricht wird, sondern auch die Nicht-Verschiebung: Auf Nachfrage der Presseagentur dpa rechtfertigte ein Sprecher der ARD-Programmdirektion die Entscheidung, den Thriller Spuren der Rache wie geplant Anfang Januar zu senden, damit, dass er von einer fiktiven, nicht religiös motivierten Tat handle, ergo "keine inhaltliche Parallelität zu den tragischen Ereignissen" aufweise.

Der Terror ist in Deutschland angekommen - und das Fernsehen tut sich sichtlich schwer, damit souverän umzugehen. Der Titel des Rostocker Polizeirufs mutet da regelrecht an wie ein Kommentar zur Lage: "Angst heiligt die Mittel".

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