Süddeutsche Zeitung

Tatort-Nachlese:Besuch bei einem Toten

Im neuen Luzerner "Tatort" jagen die Kommissare einem Phantom hinterher. Leider verrennt sich "Zwei Leben" dabei heillos in Klischees.

Kolumne von Paul Katzenberger

Erkenntnis:

Wenn allzu viele seelisch Verwundete aufeinander treffen, gibt es Opfer auf allen Seiten. In diesem Luzern-Tatort werden die Kommissare Reto Flückiger und Liz Ritschard mit einem Mord konfrontiert, dessen Ursache in einer schweren psychischen Erkrankung zu suchen ist. Sanatorien und psychosomatische Kliniken siedeln sich ja gerne in schönen Landschaften an, die der geistigen Gesundheit dienen können sollen. Dass es am Vierwaldstättersee überdurchschnittlich viele psychisch Kranke gibt, ist möglicherweise also gar nicht so weit hergeholt.

Darum geht's:

Der Fernbusfahrer Beni Gisler (Michael Neuenschwander) fährt gerade unter einer Autobahnbrücke durch, als ihm ein Mann von oben auf die Windschutzscheibe knallt. Der vermeintliche Selbstmörder kann nur noch tot geborgen werden. Die am Tatort gefundenen Personalpapiere weisen ihn als Jean-Jacques Bollinger aus. Das Problem: In der ganzen Schweiz ist kein Mann solchen Namens gemeldet - die wahre Identität des Opfers scheint eine andere zu sein. Eine Spur führt die Kommissare Flückiger und Ritschard zu Jakob Conti, dem ehemalige Chef eines erfolgreichen Bauunternehmens, der Ähnlichkeiten mit dem Opfer hat. Conti gilt seit dem Tsunami im Indischen Ozean 2004 als in Thailand verschollen und wurde für tot erklärt. Rasch verdichten sich aber die Hinweise, dass sein Tod fingiert war, um Gelder seines insolventen Unternehmens in die Taschen der Ehefrau und des Stiefsohnes umzuleiten.

Aber dann geht's doch vor allem um...

... den Fernfahrer Beni Gisler, der in seinem früheren Leben Lokführer war und dem innerhalb von fünf Jahren bereits zwei Selbstmörder vor den Zug sprangen. Weil er das nicht mehr verkraftete, wurde er Busfahrer, doch im neuen Beruf ereilt ihn jetzt dasselbe Schicksal. Dass er nun mit schweren Belastungsstörungen und aggressiven Ausbrüchen zu kämpfen hat, belastet Kommissar Flückiger persönlich. Denn der kennt Gisler aus der gemeinsamen Wehrdienstzeit. Als sich herausstellt, dass Jean-Jacques Bollinger alias Jakob Conti von der Brücke gestoßen worden sein muss, macht sich Gisler auf, den Mörder selbst zu finden.

Bester Dialog:

Kriminaltechnikerin Corinna Haas (Fabienne Hadorn) erklärt Flückiger und Ritschard, was sie über den Toten weiß. Seine Identifikation gestaltet sich schwierig, denn der Leiche fehlt die untere Hälfte des Gesichts, über die der Bus gefahren ist. Auf dem Porträtfoto des gefundenen Personalpapiers ist hingegen nur die untere Hälfte des Antlitzes zu sehen. Haas pinnt beide Aufnahmen ans Board.

Haas: "Das ist das, was vom Gesicht übrig geblieben ist. Das ist das Bild aus seinem Pass, also das, was davon noch übrig war. Wir haben Glück gehabt. Ich habe versucht, sein Gesicht aus den zwei Bildern zu rekonstruieren. Ich würde sagen, in etwa könnte er so aussehen" (Während sie das sagt, pinnt Haas eine Fotomontage aus beiden Gesichtshälften ans Board).

Ritschard: "Hast Du ihn durch den Computer gejagt?"

Haas: "Hmm! Ich würde sagen, eine relativ schwache Übereinstimmung mit einer Polizeimeldung aus dem Jahr 2004" (zeigt dabei die entsprechende Meldung vor und pinnt sie ebenfalls ans Board.) "Von einem Jakob Conti, der im Tsunami umgekommen ist."

Flückiger: "Der ist aber schon lange tot."

Haas: "Ja, 13 Jahre. Aber die Firma gibt's noch: 'Conti Bauerben'. Wollt Ihr die Adresse?"

Haas gibt den Zettel mit der Adresse Ritschard, die gerne zugreift. Beide Kommissare machen sich eilig zum Gehen bereit, ziehen sich die Jacken über.

Flückiger: "Dann besuchen wir zur Abwechslung mal einen Toten."

Top:

Am amüsantesten in diesem schwachen Tatort sind die Auftritte von Regierungsrat Eugen Mattmann (Jean-Pierre Cornu), dem Vorgesetzten von Flückiger und Ritschard. Der vereint in sich alles, was ein Chef nicht sein sollte: Er ist misstrauisch, überkritisch und schwer von Begriff. Ein Gang zum Psychologen wäre ihm durchaus anzuraten.

Flop:

Die Conti-Firmenerben, Stiefsohn Marco (Roland Bonjour) und Jakob Contis Ehefrau Anita (Saskia Vester) erfüllen jedes Klischee, das über geldgierige Verwandte im Umlauf ist: Marco ist von Beruf Sohn, der zur entscheidenden Befragung im Kommissariat angetrunken erscheint. Anita Conti zieht im Hintergrund die Strippen, doch die von ihr aufgebaute Fassade lässt sich allzu leicht zum Einsturz bringen. Es wäre schön, wenn sich das Schlechte der Welt immer so leicht enträtseln ließe.

Beste Szene:

Eigentlich hat Kommissar Flückiger gerade ein Rendezvous mit seiner neuen Liebschaft Eveline (Brigitte Beyeler). Doch er kann es nicht lassen, kurz bei Beni Gisler vorbeizufahren, um nachzusehen, ob alles in Ordnung ist. Natürlich ist nichts in Ordnung, Gisler versinkt in seiner Depression. Von Hilfsangeboten will er allerdings auch nichts wissen. Eveline wiederum hat sich ihre Verabredung wohl anders vorgestellt und rauscht beleidigt ab. Doppelt verstoßen bleibt der Kommissar also allein auf der nächtlichen Straße zurück - so bedröppelt, dass es fast schon wieder komisch ist.

Die Schlusspointe:

Dieser Fall hielt Kommissar Flückiger so sehr in Beschlag, dass er immer eine gute Ausrede für sich selbst hatte, seine Beziehungsstörung auszuleben: Statt die Kinder seiner Freundin Eveline brachte er lieber seinen Kumpel Beni Gisler ins Bett. Und wenigstens einmal die ganze Nacht bei Eveline zu bleiben, schaffte er auch nicht - die Ermittlungen riefen schließlich. Doch jetzt ist der Fall gelöst, dem so viel psyschisches Leid zu Grunde lag, und Flückiger scheint seine Lehren daraus gezogen zu haben: Er zieht bei Eveline mit Sack und Pack ein.

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