Süddeutsche Zeitung

"Tatort"-Nachlese:Porno im Planschbecken

Die Münchner Kommissare führt der "Tatort" ins Pornomilieu. "Hardcore" ist ein sehenswerter Krimi - mit viel Humor. Die Nachlese.

Von Carolin Gasteiger

Erkenntnis:

Porno geht auch ohne Zoten. Die Münchner Kommissare waren vor kurzem noch in einer Sinnkrise, Leitmayr kurz davor, seinen geliebten Batic an eine Frau zu verlieren. Jetzt ermitteln sie im Pornomilieu. "Hardcore" ist aber keine zotige Episode voll peinlicher Fleischbeschau geworden, sondern ein sehenswerter Krimi mit amüsanten Dialogen.

Darum geht's:

Marie Wagner, die sich als "Luna Pink" ihr Studium finanziert, liegt am Morgen nach einem Gruppendreh tot neben einem Planschbecken voller Ejakulat und Urin. Unter den vielen Verdächtigen herrscht Schweigen, nicht nur weil sie sich selbst schützen wollen. Über Pornos redet man einfach nicht. Anhand des Mordfalls wird nicht nur erzählt, wie ein Vater moralisch vom Privatleben seiner Tochter erschlagen wird - Marie ist zufälligerweise die Tochter des Staatsanwalts - sondern auch die vertrackte Lage einer ganzen Branche. Die Krise offenbart sich im Namen der Filmproduktion, für die Luna arbeitete: Fickflix. Oder prägnanter im wütenden Ausruf des Pornoproduzenten Sam Hering: "Mein Vater war der mit den Lederhosen, ich bin der Cumshot-King!"

Top:

"Hardcore" wirft einen Blick auf die Pornobranche, ohne diese zu karikieren. Vielmehr als um nackte Haut oder Sexszenen geht es um das Innenleben der Figuren. Und das, was jeden Einzelnen dazu bewegt, im Pornobusiness tätig zu sein. Wie es Regisseur Philip Koch formuliert: "Porno zu konsumieren ist moralisch legitim, Porno zu machen hingegen unmoralisch, schmutzig und beschämend." Die einen, vor allem die an dem Dreh beteiligten Männer, sagen nichts aus Angst vor gesellschaftlicher Ächtung. Andere, wie die ehemalige Kollegin der Toten, würden gern wieder zurück ins Geschäft, verkneifen es sich aber ihrer Familien zuliebe. Und wieder anderen, wie dem Produzenten Sam Hering, hat das Internet, in dem potenziell jeder No-Name einen Porno drehen und hochladen kann, das Geschäft versaut.

Flop:

Auch wenn die schlimmsten Zoten ausbleiben, wirken die Porno-Pointen an manchen Stellen schon sehr gewollt. Etwa, wenn Leitmayr im Haus des Pornoproduzenten bei weiblichem Stöhnen trocken feststellt: "Ah, heut ist Arbeitstag" oder Kripo-Mitarbeiter Semmler angesichts eines Verdächtigen anmerkt, ein unterdurchschnittliches Glied treffe ja "auf halb München" zu. Ohne Altherrenhumor geht es in "Hardcore" eben doch nicht.

Beste Szenen:

Eine junge Frau sitzt im Bikini vor einem Spiegel und schminkt sich. Ein letzter prüfender Blick, darauf ein selbstsicheres Lächeln und sie stolziert in einen Raum, flankiert von maskierten Männern. Aus dem Off schmettert eine Stimme: "I can scarcely move/ Or draw my breath", der Part, der in der Oper "King Arthur" erklärt, wie die Liebe jedes noch so kalte Herz erweichen kann. Oder einfach jeden Mann befriedigen. Denn anschließend beugt sich die Kamera über die Protagonistin, die lasziv die Lippen öffnet. Klar, worum es in diesem Tatort gehen wird: Oralverkehr. Was folgt, sind von Lust verzerrte Männergesichter, verborgen hinter Sturmhauben, Strumpfhosen, Ledermasken. Männliche Befriedigung.

Weniger künstlerisch, dafür aber witzig: Auf einer Gang-Bang-Party sucht Kommissar Leitmayr nach einem Verdächtigen. Um ihn herum wird wild kopuliert, viel nackte Haut, lustvolles Gestöhne. Leitmayr drängt sich im Trenchcoat an den Nackten vorbei und erkundigt sich, als würde er nach der Uhrzeit fragen, bei einem Pärchen in Ekstase nach einer Verdächtigen. Wen werden denn schon eine Horde vögelnder Nachtschwärmer aus der Ruhe bringen?

Schlusspointe:

Fassungslos starren Marie Wagners Eltern auf die Porno-DVDs, auf deren Cover ihre Tochter zu sehen ist. Ebenso fasslungslos und verzweifelt starrt Pornoproduzent Olli Hauer auf sein luftleeres Planschbecken. Und Konkurrent Sam Jordan auf ein Filmplakat aus besseren, weil lukrativeren Zeiten. Das Pornogeschäft hat ihr aller Leben entscheidend geprägt, im Guten wie im Schlechten. Das wird umso klarer, als sie Szenen stilvoll von Beethovens Liederzyklus an die ferne Geliebte untermalt sind:

Weit bin ich von dir geschieden/ Trennend liegen Berg und Tal/ Zwischen uns und unserm Frieden/ Unserm Glück und unser Qual.

Die besten Zuschauer-Kommentare:

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