Süddeutsche Zeitung

Tatort aus Mainz:Kalte Sophie

In "Blind Date" wird eine Tankstelle überfallen und zwei Ermittler müssen sich erst noch finden - das normal durchgedrehte Leben in einer normal durchgedrehten Gesellschaft.

Von Claudia Fromme

Zwei Frauen treffen sich im Dunkeln. Die eine ist pappsatt vom Leben, die andere hungert danach. Die eine kannte zu Hause nie Grenzen, dafür gab es haufenweise Geld. Die andere will sich von ihrem Vater befreien, der es nur gut mit ihr meint. Die eine sieht, die andere ist blind. Gegensätze ziehen sich an, notgedrungen.

So ist die Lage im Mainzer Tatort. Die Frauen hätten sich nie näher kennengelernt, hätte Sophie (Anica Happich) nicht mit ihrem Freund (Jan Bülow) eine Tankstelle überfallen. Den Kassierer nieten sie um. Für 500 Euro. Ums Geld geht es nicht, sondern um den Kick. Zufällig an der Tanke ist die Studentin Rosa (Henriette Nagel), die sich hier jeden Abend zwei Bier holt, ihre kleine Freiheit. Mit einem Prozent Sehkraft ist sie auf ihre Eltern angewiesen, die wollen sie beschützen. An diesem Abend begegnen sie sich, die gute und die böse Welt. Rosa kann die Täter beschreiben, sie hat sie gerochen, gefühlt, gehört. Polizeischutz will sie nicht. Nicht noch mehr Kontrolle. Ihr Leben wird gefährlich, Rosa genießt es.

"Wir arbeiten hier auch mit Hoffnung", sagt Ellen Berlinger. Ihr Kollege lacht gallig.

"Blind Date" ist kein trauriger Sozialporno, auch wird Rosa von Wolfgang Stauch (Drehbuch) und Ute Wieland (Regie) nicht zur Heldin stilisiert. Es geht um das normal durchgedrehte Leben in einer normal durchgedrehten Gesellschaft. Die einen sehen, die anderen nicht, und manche knallen vor lauter Langeweile Leute ab. Die Täter muss nur die Polizei überführen, dem Rest sind sie bekannt, und so geht der Zuschauende auf Reisen. In die Seele der blinden Rosa, der kalten Sophie, in jene der traurigen Kommissare. "Wir arbeiten hier auch mit Hoffnung", sagt Ellen Berlinger (Heike Makatsch), die weiter an sich als alleinerziehende Mutter zweifelt, woraufhin ihr Kollege Martin Rascher (Sebastian Blomberg) gallig lacht. Hoffnung hat er keine mehr, seit sein Freund und Kollege im Dienst gestorben ist. Ihn ekeln die reichen Kinder an, das Leben überhaupt. Es ist der zweite Fall für Berlinger und Rascher, sie suchen sich noch als Menschen, als Ermittler funktionieren sie.

Raschers Privatleben bleibt geheimnisvoll, während das seiner Kollegin so komplex ist, dass es in Konkurrenz tritt zur Story der zwei Frauen. Die ist am Ende sehr viel stärker, und so muss für Berlinger eine schnelle Lösung her, die auch noch in die 90 Sendeminuten passt. Sie erscheint fast lapidar, verändert sie doch ein ganzes Leben. Derweil sind alle weiter auf der Suche nach Liebe und Hoffnung. Sie werden enttäuscht. Natürlich.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

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