Medienkolumne "Abspann":Wo ist mein "Tatort"?

Babylon Berlin

Auch in Staffel drei ist "Babylon Berlin" so, dass man sagt: Muss man sehen.

(Foto: Frédéric Batier/X Filme Creative)

Deutsches Fernsehen wie durch Teilchenbeschleuniger gejagt, das ist "Babylon Berlin". Muss man sehen, gerne auch zur besten Sendezeit. Trotzdem werden sich an diesem Sonntagabend viele Menschen nur eines fragen.

Von Claudia Tieschky

Dieser Krimi aus Berlin am Sonntag nach der Tagesschau ist kein Tatort, auch wenn Meret Becker mitspielt, die vorigen Sonntag an gleicher Stelle noch Kommissarin Nina Rubin war. Diese Woche heißt Meret Becker Esther Kasabian und ist verheiratet mit dem Mann, den sie den Armenier nennen, dem Boss der Berliner Unterwelt der Zwanzigerjahre, sie ist sozusagen die Frau des Paten. So ein Pate hat vor lauter Herumfahren im Automobil und Leuten die Finger brechen lassen und den Pelzkragen ordentlich legen immer zu wenig Zeit für die Familie. Und sie sagt zu ihm: Hey, ich bin hier die Kommissarin und mir reicht's jetzt!

Nein, sagt sie natürlich nicht, sie ist ja nicht im Tatort. Sie sagt: Jetzt bin ich mal dran! Ich will kreativ sein und mache jetzt einen Podcast! Weil der neue Sonntags-Tatort Babylon Berlin im Jahr 1929 spielt, ist es eigentlich kein Podcast, sondern das Drehbuch für einen Schwarz-Weiß-Film, aber egal. Nebenbei hat sie ein Verhältnis mit dem besten Freund des Paten, sehr schlechte Verhandlungsposition, aber Meret Becker sagt: Ich will aber! Und was meinen Sie, was der Pate macht? Nein, nicht das, was Sie denken. Viel besser. Denn die Serie Babylon Berlin ist auch in den neuen Folgen, die am Sonntag nach der Ausstrahlung bei Sky im Januar endlich auch in der ARD starten, absolut fix und souverän, grausam und gescheit. Deutsches Fernsehen wie durch Teilchenbeschleuniger gejagt. Muss man sehen. Trotzdem werden sich am Sonntag viele Menschen einfach nur eins fragen: Wo ist mein Tatort?

Jahrzehntelange experimentfreie Programmplanung, unterbrochen nur durch Fußball, Bundestagswahl, Olympia

Angeblich ist Fernsehen inzwischen nicht mehr linear, sondern immer und überall abrufbar. Aber wenn Sonntag um halb acht Stau am Autobahnende ist, denkt man trotzdem: Die wollen alle zum Tatort. Der Tatort ist etwas, wofür man in dieser Allesüberallwelt einfach mal schön behaglich nach Hause geht. Damit ist eigentlich alles gesagt.

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Es ist nicht zu unterschätzen, dass sich dieser Effekt jahrzehntelanger experimentfreier Programmplanung verdankt, die der ARD sonst komplett wesensfremd ist. Doch erst ungefähr seit 1996, erfährt man dort auf Anfrage, gibt es durchgehend am Sonntag um 20.15 Uhr Tatorte oder Polizeirufe, wenn nicht Sommerpause ist oder noch wichtigere kollektive Ereignisse als der Tatort stattfinden, in der Reihenfolge Fußball, Bundestagswahl, Olympia.

Gelegentlich ist es auch passiert, dass der Tatort-Sendeplatz für Filme freigeräumt wurde. Beispielsweise für Die Frau vom Checkpoint Charlie (2007, mit Veronica Ferres), Die Flucht (auch 2007, mit Maria Furtwängler) und Der Baader Meinhof Komplex (2009, Vorlage Stefan Aust). Ob Forensiker in der Lage sind, dahinter ein Muster bei den Programm-Tätern auszumachen? Babylon Berlin dagegen, das schon bei der ersten Staffel auf dem Tatort-Platz startete, ist immerhin ein klassischer Krimi - mit einem Kommissars-Duo und dramatischer Suche. Nach dem Mörder, nicht nach dem Tatort.

Babylon Berlin, Das Erste, jeweils zwei Folgen am 11., 14., 15., 21. und 22. Oktober ab 20.15 Uhr, alle Folgen in der ARD-Mediathek.

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