Süddeutsche Zeitung

Tatort Hannover "'Wegwerfmädchen":Wie Kleintiere im Zoogeschäft

Es ist ein düsteres Thema - Mädchen aus dem Osten werden zur Prostitution gezwungen. Eine junge Frau, die zuvor von einem Anzugträger ausgesucht wurde, stirbt auf brutale Art und Weise. Für Witz oder privates Geplänkel sollte in diesem Tatort eigentlich kein Platz sein.

Von Holger Gertz

Beim Tatort sind sie im Moment schwer in der Experimentierphase, der NDR schickt Charlotte Lindholm vom LKA Hannover an zwei Sonntagen hintereinander auf die Strecke. Eine Doppelfolge, man kann angeblich aber die Teile auch unabhängig voneinander sehen. In der ersten Episode sieht man also eine junge Frau im Müll, halb nackt, Blut um den Mund. Sie ist weggeworfen worden. Und wie sie sich langsam aus dem Dreck des Tages zu erheben versucht, das ist schon ein heftiges Bild, für ein bitteres Thema.

Es geht um Zwangsprostitution, Mädchen aus dem Osten werden von Anzugträgern aus dem Westen gebraucht und nach Gebrauch entsorgt. Wie Kleintiere im Zoogeschäft kann man sich die Mädchen bei entsprechenden Partys aussuchen, sie tragen farbige Bänder ums Handgelenk, Gold steht für Jungfräulichkeit. Ein Mädchen hat den Herrenabend überlebt, ein anderes nicht. Mageninhalt: Hummer in großen Mengen, hastig genossen. Von Darmruptur und Hymenruptur spricht der Gerichtsmediziner, von Quälereien mit Baseballschlägern.

Houellebecq meets Hannover, sozusagen. Die Politik hängt drin, die Staatsanwaltschaft, jeder deckt jeden. Die Opfer tragen Kostüme aus dem Fundus der Staatsoper. Aber draußen auf der Straße sagen längst die Männer in den Lederklamotten, wo es langgeht. Das wird vom Autor Stefan Dähnert und der Regisseurin Franziska Meletzky kühl und schnell erzählt, das Thema erlaubt keine Witzeleien, also ist Maria Furtwängler als Charlotte Lindholm - deren Gesicht sich auch keine Witzeleien erlaubt - die angemessene Ermittlerin.

Nur hat sie noch diese Liebesgeschichte mit einem mehrtagebärtigen Journalisten, der den Hintergründen des Falls auch auf der Spur ist. Beim Tatort sind sie zwar in der Experimentierphase, allerdings halten viele Autoren an der Idee fest, die Privatangelegenheiten der Kommissare müssten zwingend ins Drehbuch. Das mag okay sein, wenn - wie bei Lena Odenthal oder Klara Blum - dramaturgisch eh nichts mehr kaputtzumachen ist. Bei einem Thema wie diesem könnte man auf das Geplänkel drumherum leicht verzichten. Da wünschte man sich einen Kommissar wie früher Erik Ode, der kein Privatleben hatte.

ARD, Sonntag, 20.15 Uhr

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SZ vom 08.12.2012/jufw
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