Auf Norderney spielen sie Monopoly. Der Festländer krallt sich die Lagen mit Meerblick, der satte Insulaner verdient gut daran. Wer sich ihnen in den Weg stellt, verlässt sein reetgedecktes Haus mit den Füßen zuerst. Raunt man auf der Insel. Bei manchen werden auch erst die Scheiben eingeworfen. So wie bei Imke Leopold (Franziska Hartmann), einer Journalistin, die glaubt, einem Bauskandal auf der Spur zu sein. Sie kennt Ermittler Falke (Wotan Wilke Möhring) von sehr nah aus Hamburger Punkzeiten ("alte Geschichte"), fleht um Hilfe. Er zögert, gibt ja keinen Toten, setzt doch mit Kollegin Grosz (Franziska Weisz) über, schon ist da eine Leiche: Ein Makler liegt im weißen Fitnesskeller seiner weißen Villa im eigenen Saft. Es riecht ein büschen nach Sylt und nach den Nord- und Ostseekrimis, bei denen TV-Ermittler ins Wasser starren, als löste sich so ein Fall.
Und dann kann man die klischeebeladene Baugeschichte auch vergessen, gut so. Es geht in "Tödliche Flut" (Buch David Sandreuter, Regie Lars Henning) eigentlich um andere Dinge. "Sie wissen ganz genau, dass Sie da eine Linie überschritten haben", sagt Grosz zum stellvertretenden Bürgermeister, der sich von einer Investorin mit Faible für christlichen Chorgesang im Privatjet herumfliegen lässt. Grenzen überschreiten hier alle, man ist ja unter sich. Falke sowieso, der auch diesmal seltsam blass bleibt, aber das war schon immer seine Jobbeschreibung, das mit der Blässe auch.
Großartig ist die Soundtapete von den NDR-Radiophilharmonikern zu der winterlichen Dünenlandschaft
Grenzen überschreiten ist auf einer Insel schwierig, es gibt kein Entweichen, manche drehen durch. Wenn es psycho wird, setzen die Geigen ein, das war beim meisterhaften Hessen-Tatort "Im Schmerz geboren" so, nun kommt die großartige Soundtapete zur winterlichen Dünenlandschaft von den Radiophilharmonikern des NDR. Eine Bühne bereitet die vor allem der starken Franziska Hartmann als Reporterin Leopold. Der geht es erst um ihre Heimat, sie ist von hier, und schlussendlich um höhere Gerechtigkeit.
Sie hängt sich an die Kommissare, ist bei Befragungen dabei, Falke erzählt freimütig von den Ermittlungen. Womöglich werden echte Kommissare beim Zuschauen Atemnot bekommen. Die Journalistin schreibt nachts wie besessen in eine abgewetzte Kladde, trinkt Rotwein in sehr großen Schlucken und raunt den Kommissaren verschwörerisch zu: "Dann lassen wir die ganze Scheiße hochfliegen." Womöglich werden auch echte Journalisten beim Zuschauen Atemnot bekommen. Hier macht sich eine gemein mit einer Sache, von der keiner weiß, ob sie gut oder schlecht ist oder überhaupt wahr. Übrig bleibt ein Meer von Fragen. Auch das ist gut so.
Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.