Süddeutsche Zeitung

"Tatort"-Wiederholung aus Hamburg:Noch'n Döner, noch'n Wodka Red Bull, noch'n Blowjob

Die Reeperbahn ist zum Ballermann geworden und Kommissar Falke kippt sich einen Kurzen in die Frischmilch: "Die goldene Zeit" ist ein weitestgehend unsentimentaler "Tatort" über St. Pauli.

Von Holger Gertz

Diese Rezension wurde erstmals zur Premiere des Tatorts am 9. Februar 2020 veröffentlicht

Der Reeperbahn-Film - ein Mythos im Wandel. In den Fünfzigern des vergangenen Jahrhunderts mussten sich die Prostituierten noch von Hans Albers ansäuseln lassen: "Komm doch, liebe Kleine, sei die meine, sag' nicht Nein!" Der Hamburger Regisseur Jürgen Roland sparte sich in seinen St. Pauli-Variationen der Sechziger und Siebziger zwar ein wenig Schmalz, die Ganovenehre war aber immer noch Zutat seiner Geschichten, in denen norddeutsche Figuren vorkamen, die Läpke und Paschke hießen, Rudi und Susi und Frieda und Hansen.

Jetzt, im Reeperbahn-Tatort vom NDR, heißt der kindliche Mörder Matei Dimescu, und eine Frau namens Voica Barbu soll sich den Hurenpass ausstellen lassen. Denn heute beherrschen osteuropäische Banden den Kiez, sie schleusen Kinder als Auftragskiller ein, wo früher, im alten St. Pauli, die Klopper ihre Deals noch per Handschlag besiegelt haben. So erzählt man es sich jedenfalls, und daran glaubt auch Ermittler Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring), der früher als Türsteher auf dem Kiez gearbeitet hat. Zur Feier des Tages kippt er sich wie damals einen Kurzen in seine Frischmilch.

Geile Meile? Vielleicht. Heile Meile? Noch nie.

"Die goldene Zeit" von Regisseurin Mia Spengler (Buch: Georg Lippert) erzählt von Komasäufern und Flatrate-Fickern in der eventfixierten Gegenwart. Wird alles wegkonsumiert von Menschen, die sich nicht scheuen, von der "geilen Meile" zu schwärmen. Noch'n Döner, noch'n Wodka Red Bull, noch'n Blowjob. Der Tatort zeigt: Die Reeperbahn ist zum Ballermann geworden. Er erliegt aber - das ist seine Qualität - nie der Gefahr, den Weichzeichner über die Vergangenheit zu legen. Damals gab es zwar noch nicht diese Megapuffs mit den abwaschbaren Böden, damals gab es Spelunken und Kaschemmen und sogenannte Etablissements, in denen Plüschherzchen bereitlagen. Aber ein heftiges Business war das Ganze natürlich schon immer. Die Heile Meile gab es nie, eben auch damals nicht, als sie noch in deutscher Hand war.

In diesem Tatort trauert der runtergewohnte Ex-Lude "Eisen-Lübke" (Michael Thomas) den alten Zeiten nach und versucht, den neuen Zeiten etwas Wärme abzumelken. Er legt ein paar Mal auf den kindlichen Mörder an, und obwohl es knallt, erledigt er ihn nie. Er tanzt mit einer alten Hure zum uralten Reißer "Am Tag, als Conny Kramer starb", da wird es sentimental, auf den letzten Metern wird es sogar kitschig, da verliert der Film leider seinen unaufgeregten Sound. Um schließlich in einer beliebigen Szene zu stranden, die an die frühere Kölner Wurschtbudenhaftigkeit erinnert. Ein Tatort über käufliche Liebe und käufliche Leben, der sich ganz am Ende unter Wert verkauft.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr

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Quelle:
SZ vom 08.02.2020/sikt/luch
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