Süddeutsche Zeitung

"Tatort" aus Franken:Was macht ein Geribbe im Gebüsch?

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In dem fordernden, sehenswerten Franken-Tatort "Wo ist Mike?" ermitteln Dagmar Manzel und Fabian Hinrichs jenseits aller Heimeligkeit.

Von Holger Gertz

"Manchmal reicht es nicht, die Wahrheit zu sagen. Sie muss auch stimmen", flüstert in diesem Tatort vom BR irgendwann ein Lehrer, der weiß, was gefühlte Wahrheiten mit Biografien anstellen können. "Ich liebe meinen Mann, im tiefsten Inneren. Das ist die Wahrheit", sagt eine Frau, die von diesem Partner geprügelt und bedroht wird, und schließlich behauptet Kommissar Felix Voss, mit jener Honigverkäuferin, die ihm ein paar Folgen vorher mal über den Weg geschwirrt war, inzwischen zusammen zu sein, und natürlich ist auch das die Wahrheit. Jedenfalls in seinen Gedanken.

Dieser Franken- Tatort ist in dem Sinn gar kein Tatort, weil in ihm der klassische Ermittler-Befehl "Nun sagen Sie doch endlich die Wahrheit" keinen Platz hat. So einfach ist das ja im Leben auch eher nicht, dass jemand pünktlich kurz vorm Abspann zugibt: "Ich war's." Und dann seiert er noch in Notruf-Hafenkante-Tonlage einen Monolog hinterher, warum er's war, und der Kommissar kriegt ein ganz hartes Gesicht und bellt: "Abführn!" Nein, die Ermittler Voss (Fabian Hinrichs) und Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) sind vertraut mit den Ambivalenzen des Lebens, und sie wissen, dass sogar Glück nur selten lange festzuhalten ist. Frau Ringelhahn, frisch verliebt, sieht im Bett ihres neuen Freundes wie eine Majestät aus. Und dann geht sie die Treppe runter, die Decke liegt ihr wie ein Königinnenmantel leicht auf den Schultern, aber der Weg führt hinab und bald noch viel tiefer, in den Keller. Denn ihr neuer Freund (Sylvester Groth) scheint schwer verdächtig in diesem Fall: Gesucht wird ein verschwundenes Kind.

Wenn der Plot zu sehr zu schweben anfängt, erdet ihn das Fränkische

Schon die Sequenz mit der Königin belegt die Akribie, mit der die Episode "Wo ist Mike?" von Andreas Kleinert (Buch Thomas Wendrich) gemacht ist; die Bilder von Kameramann Michael Hammon ( Halt auf freier Strecke) sind durchweg beeindruckend, flackerndes Neonlicht, kaltes Blaulicht, alles Heimelige rausgespült. Sogar die Stubenfliegen-Cam wird eingesetzt. Trugbilder gehören zu dieser Geschichte: Momentaufnahmen von Menschen, die nicht für alle sichtbar oder hörbar sind. Aber auch Handfestes: die Haustür, die viel zu leicht aufgeht. Und die Schranktür, die viel zu schwer zufällt. "Die Schließmechanik ist dibbi-dobbi", sagt der wunderbare Spusi-Mann (Matthias Egersdörfer), denn wenn der Plot zu sehr zu schweben anfängt, reichen ein paar erdende Begriffe aus dem Fränngisch-Werdderbuch, dann passt das wieder. "Was macht ein Geribbe im Gebüsch? Es hat beim Versteckspiel gewonnen." Auch dieser Witz ist mehr als nur ein Witz.

Fordernder Stoff, so gar nichts für Traditionalisten. Aber wer sich drauf einlässt, wird belohnt. Was ist denn wahr? Wahr ist zum Beispiel, dass die Schauspielriesen Hinrichs und Manzel zu den tollsten Ermittlerpaaren im Tatort zählen, professionell, empathisch und einander vollkommen kitschfrei zugewandt.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr

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