"Tatort"-Erfinder Gunther Witte:"1000 Folgen 'Tatort'? Du spinnst wohl!"

1000. 'Tatort'-Folge 'Taxi nach Leipzig'

Gunther Witte blickt auf 46 Jahre Tatort zurück.

(Foto: dpa)

Er selbst hätte wohl am wenigsten damit gerechnet: "Tatort"-Erfinder Gunther Witte über die Anfänge der Krimisendung, Experimente und die Jubiläumsfolge.

Interview von Eva Fritsch

Gunther Witte, Dramaturg und ehemaliger Fernsehspielchef beim WDR, ahnte nicht, was er ins Rollen brachte, als er 1969 das Konzept für die Krimiserie Tatort entwickelte. 1970 wurde die erste Folge mit dem Titel "Taxi nach Leipzig" gesendet. Aus den zunächst zwei geplanten Jahren Sendezeit wurden schließlich 46 Jahre. Diesen Sonntag zeigt die ARD die 1000. Folge Tatort.

Herr Witte, hätten Sie je damit gerechnet, dass es eine 1 000. Folge des Tatort geben würde?

Wenn ich mir vorstelle, jemand hätte mir das damals prophezeit, hätte ich gesagt: 'Du spinnst wohl!'

Wie erklären Sie sich den anhaltenden Erfolg der Sendung?

Das wird keiner richtig beantworten können. Warum plötzlich die Quote so anstieg, dass zehn Millionen Zuschauer die Regel sind, ist für mich unbegreiflich. Wenn man darunter liegt, kriegt man als Macher heute wahrscheinlich schon ein schlechtes Gewissen.

Was vermuten Sie, was es sein könnte?

Die Regionalität ist für mich der wesentliche Punkt des Formats; jedes Bundesland fühlt sich vertreten. Der erste Münchner Kommissar, der von Gustl Bayrhammer gespielt wurde, hat zum Beispiel durch seinen Dialekt die Figur sehr bereichert. Die Föderalität, die die Bundesrepublik ausmacht, spiegelt sich eben auch im Tatort wider.

Hatten Sie nie Zweifel, dass etwas nicht klappen könnte?

Doch, natürlich. Meine erste Sorge war, dass jemand Einwände wegen der vielen wechselnden Kommissare haben würde. Mittlerweile macht aber genau das den Reiz der Reihe aus.

Dennoch gibt es immer Ärger deswegen - also ist es nicht so unstrittig?

Meine Erfahrung seit Beginn der Reihe ist, dass die Zuschauer nicht nur die zahlreichen Kommissare mögen, sondern sich sogar über jeden neuen Ermittler freuen. Denn jede neue Kommissarin oder jeder neue Kommissar bringen doch aus den deutschen Städten und Regionen, die im Tatort dazukommen, neue Eindrücke und neue Bilder mit.

Ansonsten folgt die Sendung klaren Regeln.

Ein Kriterium, das mir sehr am Herzen lag, war, dass die Geschichten, die der Tatort zeigt, realistisch und in unserem Land denkbar sein müssen. Einmal habe ich einen Sendeverantwortlichen vor versammelter Mannschaft heftig kritisiert, weil eine Science-Fiction-Geschichte meiner Meinung nach nicht in den Tatort gehört. Da war der Film allerdings schon fertig.

Sind dann experimentelle Folgen wie der Tarantino-Tatort mit Ulrich Tukur nicht ein Graus für Sie?

Früher definitiv, ja. Ich hätte "Im Schmerz geboren" sicher ebenso wie heute für einen grandiosen Film gehalten, es allerdings als problematisch empfunden, ihn in der Tatort-Reihe zu senden. Auch gegen eine Krimikomödie wie bei den Münsteranern hätte ich mich früher ausgesprochen. Wenn man eine Reihe etabliert, muss man darauf achten, dass sie in jeder einzelnen Folge deutlich wiedererkennbar ist. Heute gibt es meines Erachtens diese Probleme nicht mehr. Der Tatort ist jetzt stark genug, gelegentlich Abweichungen von den Regeln zu verkraften.

Also soll sich der Tatort ruhig weiterentwickeln und Neues ausprobieren?

Wenn man lange das Gleiche macht, gibt es das Bedürfnis, über die Stränge zu schlagen. Einer erfahrenen und reifen Sendung muss man solche Wagnisse nicht vorhalten, sondern sagen: Prima, mach das! Aber mach es nicht zu oft.

Wer ist ihr Lieblingsermittler?

Solange ich lebe lautet die Antwort: Götz George als Schimanski. George ist und war für mich das Tollste und Aufregendste, was es je im Tatort gegeben hat - auch wenn er ziemlich polarisiert hat.

Zum Jubiläum lebt der erste Tatort "Taxi nach Leipzig" mit der 1 000. Folge noch einmal auf. Schauspieler, die bereits bei der ersten Folge mitgewirkt haben, haben Gastauftritte. Eine gute Idee?

Der Jubiläumsfolge den gleichen Titel wie der ersten Folge zu geben, finde ich eine originelle Idee. Da stören für mich auch nicht starke Abweichungen vom "Tatort-Muster", zum Beispiel dadurch, dass zwei Kommissare 90 Minuten in Lebensgefahr schweben. Die Gastauftritte von den Schauspielern, die schon vor 46 Jahren dabei waren, schlagen eine Brücke über 1000 Filme.

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