Süddeutsche Zeitung

"Tatort"-Wiederholung aus Kiel:Leben im Dauer-Lockdown

Die Kommissare Borowski und Sahin beschäftigen sich mit einsamen Männern, die sich im Netz radikalisieren.

Von Claudia Tieschky

Die Rezension dieses Tatorts wurde erstmals zur Erstausstrahlung im März 2021 publiziert.

Dieser Tatort, den der NDR als Beitrag zum Weltfrauentag ankündigt, handelt von Männern. Dass es um Mario Lohse, den von seiner Chefin gedemütigten Parkwächter, nicht so gut bestellt ist, merkt man schnell. Es kommt heftiger. Die kriminelle Energie der Kieler Episode "Borowski und die Angst der weißen Männer" kommt aus einem Netz sogenannter Incels - involuntary celibates: "Einsame Männer, die von den Frauen zurückgewiesen worden sind und sich anschließend im Netz radikalisieren. Die Attentäter von Halle, Hanau, Christchurch und auch Anders Breivik aus Norwegen, das waren alle Incels", erklärt Kommissar Borowski zum Mitschreiben.

Parkwächter Lohse lebt in einer Art Dauer-Lockdown. Seine einzigen Begleiter sind ein Chat und ein Audiofile zur Autosuggestion, der zeitgenössischen Grundtechnik zur Wunscherfüllung. Dass es früher anders gehen musste, lag wahrscheinlich daran, dass es nicht genug Steckdosen gab, um die Smartphones zu laden. In Lohses Ohr sagt sein Coach, dass grundsätzlich jeder Mann für Frauen respektgebietend ist, und dass es in Ordnung ist, wenn der Sex hart ist, und sie ein bisschen weinen, "denn wenn du es nicht tust, wird sie dich verachten, und das weißt du".

So einfach, wie es klingt, macht es sich dieser Film nicht

Dann liegt ein Mädchen tot in der Nähe eines Clubs, ein rechtsextremer Zusammenhang scheint möglich, und Lohse ist auf einem Überwachungsvideo. So einfach, wie es erst klingt, macht es sich dieser Tatort von Nicole Weegmann nach dem Buch von Peter Probst und Daniel Nocke nicht ganz. Lohse ist gewaltig unter Druck, aber keine eindeutig böse Figur. Blöd nur: Endlich hat er ein Mädchen in seine Wohnung gelotst, da klingeln die Ermittler Borowski (Axel Milberg) und Sahin (Almila Bagriacik), und als er im Verhör nicht gesteht, sagt Sahin, die sich offenbar auskennt: "Geben Sie mir fünf Minuten mit ihm, und er dreht durch".

Bei der Überprüfung von Lohses Kontaktmilieu im Netz finden sich Hass-Listen, auf einer steht eine Politikerin, die nicht weiß, dass ihre Assistentin in der Tiefgarage von Männern in weißen Ganzkörperanzügen vergewaltigt wurde. Auf einmal taucht der Staatsschutz auf, und es ist von möglichen Anschlägen am Weltfrauentag die Rede, der da mit quietschenden Reifen noch ins Drehbuch fand.

Borowski aber begibt sich auf Abenteuer in die Welt des Gurus Massmann (Arndt Klawitter). Der ist in Talkshows smart, und in Hinterzimmern ruft er: "Werden wir es zulassen, dass diese Schlampen und die Asylanten unser schönes Land untereinander aufteilen?" Borowski ist super in diesem Fall, aber trotzdem: Zum Weltfrauentag, wenn schon, denn schon, lieber NDR, hätte dieser Tatort auch mal heißen dürfen: "Sahin und die Angst der weißen Männer".

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

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