"Tatort" aus Kiel:Wäre er doch geblieben

"Tatort" aus Kiel: Jung und Alt - Borowski und Milberg. Im neuen Kieler Fall spielt Axel Milbergs Sohn den jungen Borowski.

Jung und Alt - Borowski und Milberg. Im neuen Kieler Fall spielt Axel Milbergs Sohn den jungen Borowski.

(Foto: Christine Schroeder/NDR/dpa)

Im neuen Kieler "Tatort" holt Borowski die eigene Vergangenheit ein - bedrückend sehenswert.

Von Holger Gertz

Wo waren Sie am Abend des 5. September 1970?", fragt Kommissar Klaus Borowski an einer Stelle einen Verdächtigen, schon diese Erkundigung macht greifbar, dass ein Cold Case in diesem Kieler Tatort das Thema ist. Ein lange zurückliegendes Tötungsdelikt wird also noch einmal gründlich aufgerollt. Solche Geschichten sind attraktiv fürs Publikum, aber aufwendig: Für die Historie, hier die Siebziger, braucht man nicht nur die entsprechend schnauzbärtige Ausstattung. Und dann muss das Vergangene auch noch dramaturgisch charmant mit der Gegenwart in Berührung gebracht werden. Zwei Zeitebenen allerdings überfordern den Tatort oft, und am Ende steckt mal wieder zu viel drin.

In "Borowski und der Schatten des Mondes" von Nicolai Rohde (Buch Patrick Brunken und Torsten Wenzel) ist dagegen alles gut ausbalanciert. Die Schnauzbärte der Siebziger passen, vieles andere passt auch. Der Kommissar selbst ist die Brücke zwischen damals und heute: Als Teenager wollte Borowski (Axel Milberg) mit seiner Freundin Susanne zum Love-and-Peace-Festival nach Fehmarn trampen, Jimi Hendrix würde dort auftreten. Aber dann begann es zu regnen, die beiden Nachwuchshippies stritten, und der junge Borowski (gespielt von Milbergs Sohn August) ließ seine Freundin in einen Wagen einsteigen und sah sie nie wieder. Sie war, im Wortsinn, vom Erdboden verschluckt. Fünfzig Jahre später wird eine Leiche unter einer entwurzelten Eiche gefunden, per digitaler Gesichtsrekonstruktion stellt sich heraus: Die Tote ist Susanne. Und also kämpft Borowski, während er ermittelt, auch mit den Dämonen des eigenen Versagens: Wäre er doch damals bei Susanne geblieben. Das ist die Geschichte.

Eine Philosophie über Schuld und den Umgang mit Schuld, auf der Höhe mit ähnlichen Stücken, dem Tatort "Der tiefe Schlaf" etwa oder dem Polizeiruf "Und vergib uns unsere Schuld". Man sitzt in Kiel vor klaren, blanken Fensterfronten und starrt ratlos in eine Welt, in deren unergründlicheren Schichten die Leichen mit dem Wurzelwerk verwachsen sind. Alle Darsteller (Stefan Kurt, Lena Stolze) sind fürsorglich ausgewählt, und Borowski ist im Zusammenspiel mit seiner Kollegin Sahin (Almila Bagriacik) sowieso am besten, wenn er nicht verplaudert ist, sondern lakonisch. Einmal sagt Sahin zu Borowski: "Sie waren der Freund von Susanne Hansen, oder? Das tut mir leid für Sie." Oder: für sie? Man weiß nicht, ob ihr Mitgefühl dem Kommissar gilt oder dessen Jugendfreundin. Und einmal, als Borowski bei der Beerdigung dem erloschenen Vater von Susanne begegnet, ist Wortlosigkeit der einzig angemessene Soundtrack. Gibt Momente, da kann man nichts sagen. Bedrückend sehenswert.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

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