Süddeutsche Zeitung

"Tatort" Berlin:Wenn Männer weinen

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Ohne seine Partnerin Rubin muss Kommissar Karow den Tod seines Jugendfreundes ermitteln. Ein Fall, der körperliche Schmerzen bereitet.

Von Claudia Fromme

Eine große Traurigkeit legt sich über Berlin. Da ist ein leerer Schreibtisch, ein Polizist hat gerade die letzten Dinge zusammengepackt, am Ende Damenboxhandschuhe. Das berufliche Leben von Kommissarin Nina Rubin (Meret Becker), es passt in eine kleine Pappkiste. Ihr Kollege Robert Karow (Mark Waschke) starrt im Büro auf die Leerstelle ihm gegenüber, die Augen rot gerändert. Rubin, zuletzt auch seine Geliebte, starb in seinen Armen, erschossen von einem russischen Mafioso. Karow ist komplett neben der Spur, soll Urlaub machen, um wieder klarzukommen. Er macht keinen Urlaub, also keinen offiziellen, denn im Wald liegt sein Jugendfreund Maik, mit eingeschnittenen Mundwinkeln und einem Einschussloch in der Stirn. Ein Mord im Milieu, so sieht es aus.

Der Tote hatte als verdeckter Ermittler gearbeitet, war Fahrer für einen türkischen Clan-Boss, in dessen Bordellbar kurioserweise Musik von Steely Dan läuft. Die Kollegen von der Kripo schicken Karow weg, die Staatsanwältin Sara Taghavi (Jasmin Tabatabai) redet mit ihm wie mit einem kleinen Kind. Karow nickt, denkt: Fuck off! - und macht weiter, allein. Klaut den Schlüssel zur Wohnung des Toten aus der Asservatenkammer, legt sich in Maiks Bett, trinkt seinen Whiskey, raucht seine Zigaretten, liest seine Tagebücher, kriecht in sein gewesenes Ich, um herauszufinden, warum sein Freund sterben musste.

Die Suche nach dem Motiv wird zur Suche nach Karows jugendlichem Ich, nach einer verblassten Liebe, nach den Fesseln eines bürgerlichen Elternhauses. Flashbacks mit Szenen seiner Jugend und der jüngeren Vergangenheit strukturieren den Krimi Das Opfer. Der Zuschauende ist allwissend, kein Ermittler erklärt hier, wer wo was gemacht hat, alles ist zu sehen.

Dieser Tatort, bei dem Erol Yesilkaya das Buch geschrieben und Stefan Schaller Regie geführt hat, bereitet einem körperliche Schmerzen. Kommissar Karow heult praktisch den ganzen Film durch, auch der Clan-Boss hat oft tränenbenetzte Augen. Alle leiden schrecklich und stecken sich Zigaretten mit Streichhölzern an. Lange wurde nicht mehr so viel geraucht am Sonntagabend. Lange hat man nicht mehr so viele Männer weinen sehen. Das kann einem auf den Geist gehen, das Geheule, das Gerauche. Wer aber kein Eisblock ist, den berührt es. Darf man zulassen. Bald ist Weihnachten.

Das Erste, 20.15 Uhr.

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